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Sport: „Die Nationalmannschaft war im Honigland“

Werder Bremens Trainer Thomas Schaaf über die Rückkehr in den Alltag nach einer berauschenden WM

Herr Schaaf, vor einem Monat ging die Weltmeisterschaft in Deutschland zu Ende. Könnte die Fußballbegeisterung bei der WM der Bundesliga neuen Schwung geben?

Ich denke, dass man nur wenig von der Weltmeisterschaft auf die Bundesliga übertragen kann: Das eine ist ein Event, das etwas Außergewöhnliches darstellt. Wir hatten das größte Ereignis dieser Sportart im eigenen Land, bei dem jeder Bundesliga-Spieler gerne dabei gewesen wäre. So etwas ist ein Selbstläufer, dafür muss niemand motiviert werden. Die Bundesliga aber gibt es das ganze Jahr über, und sie lebt mit ganz anderen Voraussetzungen. Da muss der Spieler nicht auf ein Highlight hinarbeiten, sondern dabei unterstützt werden, tagtäglich hundertprozentig seine Arbeit zu erledigen. Was bei der WM aber auf jeden Fall rübergekommen ist, ist der positive Geschmack am Fußball.

Sie waren selbst bei einigen WM-Spielen vor Ort: Hat es nicht einen Trainer, der den Offensivstil propagiert, geärgert, dass gute Defensivarbeit so lohnend ist? Drei der vier Halbfinalisten haben mit nur einer Spitze agiert, Spielertypen wie der Franzose Patrick Vieira oder der Italiener Fabio Cannavaro waren die prägenden Figuren des Turniers.

Es war schon auffällig, dass das System mit nur einer Spitze so erfolgreich war. Erschreckt hat mich das nicht, aber mehr erfreut haben mich beispielsweise die Spanier, die mit einem klugen Kombinationsspiel in die Spitze sehr anregend aufgetreten sind. Und erfreut hat mich auch die deutsche Mannschaft, die immer versucht hat, mit schnellem Passspiel Raum zu gewinnen. Aber es war schon auffällig, dass das Turnier für den Offensivgeist im Grunde nichts Neues gebracht hat.

Sie lassen sich vom Trend des Defensivfußballs nicht beeinflussen?

Ich möchte weiterhin das Offensivspiel prägen – natürlich nicht mit einem unvernünftigen Risiko.

Ihre WM-Teilnehmer Miroslav Klose und Torsten Frings wirken vor dem ersten Bundesliga-Spiel bereits unglaublich fit. Gibt es dafür eine Begründung?

Ich glaube, dass Klose und Frings im Urlaub nicht allzu viel Kraft verloren haben. Ich versuche, sie jetzt so einzubinden, dass sie einerseits noch Basistraining erledigen, andererseits am normalen Übungsbetrieb teilnehmen.

Im Vorfeld der Weltmeisterschaft ist viel über die körperliche Verfassung der deutschen Nationalspieler debattiert worden. Gibt es noch ein Fitnessproblem in der Bundesliga?

Ich habe schon im Vorfeld der WM gesagt, dass ich mir diesen Schuh nicht anziehe.

Der ehemalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann hat Werder Bremen immer gelobt, aber Thomas Schaaf hat Klinsmanns Arbeit nicht gelobt.

Dann hat man mir nicht richtig zugehört. Ich habe Jogi Löw erst kürzlich wieder gratuliert. Man muss doch anerkennen, dass er und Jürgen Klinsmann mit dieser Mannschaft unheimlich viel erreicht haben. Wer das nicht erkennt, hat bei der Weltmeisterschaft nicht hingeschaut. Nur wenn es darum geht, globale Kritik an der Bundesliga zu üben, dann habe ich darauf hingewiesen, damit vorsichtig zu sein. Ich habe Probleme mit Pauschalurteilen.

Hat Sie die Pauschalkritik Klinsmanns gestört?

Ich wünsche mir nur, dass man die Dinge etwas differenzierter betrachtet. Wenn man sich in manchen Vereinen informieren würde, dann hätte man festgestellt, dass vieles von dem, was populistisch diskutiert wurde, in den Vereinen funktioniert und praktiziert wird. Die Nationalmannschaft war im Honigland. Viele Klubs können nur davon träumen, jemals solche Bedingungen vorzufinden. Ich habe nicht gehört, dass der Nationalelf auch nur ein Wunsch nicht erfüllt wurde. Aber fragen Sie mal in Bochum oder Cottbus nach. Ohne diesen Vereinen zu nahe treten zu wollen, aber dort kann einfach nicht alles möglich gemacht werden. Die überlegen vielleicht, ob sie aus Kostengründen mit dem Zug oder mit dem Bus statt mit dem Charterflieger irgendwohin reisen. Das ist keine Kritik, sondern eine Feststellung.

Fakt ist, dass die Bundesliga mit Ballack, Berbatow, Rosicky oder Marcelinho viele Stars verloren hat. Bei Ihnen, bei Werder Bremen, ging Johan Micoud. Ist das eine Gefahr oder eine Chance?

Eine Chance: Es sind ja dafür auch einige neue Spieler gekommen, darunter der eine oder andere sehr interessante Spieler. Die neue Situation bietet eine Riesenchance für neue Kräfte, die überraschend in den Fokus rücken – wie bei uns der Brasilianer Diego. Seine ganze Art zu spielen, seine Ballfertigkeit, sein Spielwitz können sehr interessant werden.

Braucht die Bundesliga mehr Stars?

Das ist doch zuerst eine Frage der Finanzen. Und die da jetzt schreien, sind die Ersten, die rufen, dass wir mehr Deutsche in der Liga brauchen. Bei der WM haben wir doch gemerkt, dass der eine oder andere deutsche Spieler gar nicht so schlecht ist und für Erfolg stehen kann. Das tut der Bundesliga auch gut.

Also kann der Fan in dieser Saison auch in der Champions League von den deutschen Vertretern einiges erwarten?

Erst einmal würden wir uns freuen, wenn sich der Hamburger SV auch qualifizieren würde. Wir bei Werder erhoffen uns, in der Champions League wieder eine gute Rolle zu spielen. Unser Ziel muss sein, die Gruppenphase zu überstehen. Dann wird man sehen, wer unser Gegner ist. Aber weiter möchte ich jetzt noch nicht denken.

Wie groß ist die Lücke, die noch zwischen Werder Bremen und Bayern München klafft?

Wir interessieren uns nicht für Lücken, sondern für Leistung. Ich glaube, dass unsere Mannschaft großartige Leistungen zeigen kann. Dazu gehört auch eine Portion Selbstbewusstsein, das man sich über die Ergebnisse holt. Deshalb ist ein guter Start für uns sehr wichtig.

Ausgerechnet Per Mertesacker, den sie gerade von Hannover 96 verpflichtet haben, fehlt da noch.

Bis Mertesacker einsatzbereit ist, ist es leider derzeit keine Frage von Tagen, sondern von Wochen. Aber er ist ein Spieler, der schon in jungen Jahren ein starkes WM-Turnier gespielt hat. Deshalb kann er für uns sofort eine Verstärkung sein.

Das Gespräch führte Frank Hellmann.

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