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Stoffwechselprobleme. Novak Djokovic erwischte gegen Wawrinka nicht seinen besten Tag. Foto: dpa

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Sport: Die Nerven eines Schülers

Novak Djokovic scheitert mit seinem neuen Trainer Boris Becker in Melbourne an Stanislas Wawrinka.

Boris Becker hielt es kaum auf seinem Sitz. Immer wieder stand er auf, setzte sich hin, sprang erneut auf. Er klatschte, feuerte Novak Djokovic an. Suchte den Augenkontakt mit ihm. Versuchte, Ruhe auszustrahlen, wenn der Serbe wie eine Furie in seine Richtung brüllte. Die Nerven lagen blank in diesem Viertelfinale der Australian Open, und Becker hätte wohl Gott-weiß-was darum gegeben, wenn er selbst hätte eingreifen können. In seinen besten Zeiten hätte er diese Nervenschlacht mit Sicherheit noch für sich entschieden, denn Becker konnte längst verloren geglaubte Spiele noch drehen wie kein Zweiter. Doch in der kurzen Zeit, in der er mit Djokovic nun arbeitet, hat er ihm diese Gabe noch nicht vermitteln können. Und so versagten dem Weltranglistenzweiten gerade im wichtigsten Moment dieses vierstündigen Kampfes mit Stanislas Wawrinka die Nerven.

Es stand 8:7 im fünften Satz für den Schweizer, die Spannung war kaum zu ertragen. Wawrinka hatte einen verunglückten Return noch knapp hinter die Netzkante geschubst, Djokovic erlief den Ball zwar, setzte den Volley-Cross aber ein ganzes Stück neben die Linie. Matchball Wawrinka, die Rod-Laver-Arena tobte. Djokovic spielte Serve-and-Volley – das gesamte Feld lag offen vor ihm, doch der Vorhandvolley segelte weit ins Aus. Zwei Fehler, die vielleicht auch mental zu erklären sind, also mit dem Fachgebiet, auf dem ihm Becker Nachhilfe geben sollte. Und es waren zwei Fehler am Netz, also der Region, in der sich Becker früher so wohlgefühlt hatte.

Es war vorbei, Wawrinka hatte es geschafft. Nach 14 Niederlagen in Folge hatte er Djokovic endlich bezwungen, 2:6, 6:4, 6:2, 3:6 und 9:7. „Ich bin sehr, sehr, sehr, sehr glücklich. Das ist einer der schönsten Siege meiner Karriere“, rief er der jubelnden Menge zu, und die Freude stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Vor einem Jahr hatten sich die beiden schon eine epische Schlacht in Melbourne geliefert, die nach fünf Stunden mit 12:10 im fünften Satz für Djokovic endete. Bei den US Open im Herbst trafen sie wieder aufeinander, erneut rangen sie über die volle Distanz miteinander. Und erneut unterlag Wawrinka knapp. Es gibt Spieler, die erholen sich nie mehr von solchen Tiefschlägen. Doch nicht der Schweizer, er schöpfte Kraft aus diesen Niederlagen. „Ich wollte einfach nicht aufgeben und ich wollte nicht noch mal so gegen Novak verlieren“, erklärte Wawrinka nach seinem großen Coup: „Ich wusste, wenn er sein bestes Tennis spielt, ist er besser als ich.“

Aber Djokovic, der seit 25 Partien in Melbourne ungeschlagen war, dreimal in Folge den Titel beim ersten Grand Slam der Saison gewonnen und vierzehn Mal hintereinander mindestens das Halbfinale der Grand Slams erreicht hatte, erwischte nicht seinen besten Tag. Dennoch begann er souverän, während der Schweizer erst Mitte des zweiten Satzes auf Betriebstemperatur kam. Wawrinka gelang das Break zum 4:3 und der Satzgewinn, da war Djokovic das Match plötzlich aus den Händen geglitten.

Es wurde eine Partie auf Augenhöhe, ein elementarer Kampf. Sie prügelten die Bälle 20, 30 Mal über das Netz, jeder von ihnen überstand heikle Momente. Djokovic wirkte nicht so spritzig wie gewöhnlich, er haderte mit seiner Vorhand, mit der ihm 37 leichte Fehler unterliefen. Besonders bitter waren dabei jene vier, die ihm im vierten Spiel des fünften Satzes passierten. Djokovic hatte gerade das Break zum 2:1 geschafft, doch dann gab er seinen Aufschlag sang- und klanglos wieder ab. „Nach dem Rebreak habe ich gespürt, dass ich ihn packen kann, wenn ich aggressiv bleibe“, sagte Wawrinka. Dass auf seinen Aufschlag nun Verlass war, half dabei. Insgesamt 17 Asse hämmerte er Djokovic an diesem Abend entgegen, servierte mit bis zu 219 Stundenkilometer. Wawrinka war am Ende der bessere Spieler. „Stan hat heute seine mentale Stärke demonstriert und den Sieg verdient“, lobte Djokovic. Und auch Becker sagte später: „Novak hat eineinhalb Sätze stark gespielt. Dann hat Wawrinka ein unglaubliches Niveau erreicht.“

Der Schweizer ist inzwischen angekommen unter den besten Spielern, steht nun nach den US Open in seinem zweiten Grand-Slam-Halbfinale. Dort trifft der Weltranglistenachte auf den Tschechen Tomas Berdych, der erste große Titel ist nur noch zwei Siege entfernt. „Das ist noch viel zu weit weg“, wiegelte Wawrinka ab, doch die Konkurrenz nimmt ihn längst ernst. „Er hat schon gezeigt, dass er in den wichtigen Matches alle schlagen kann. Er verdient es, hier zu stehen“, sagte Djokovic, der nicht allzu geknickt aus Melbourne abreist. Dass er seinen neuen Coach nach dem missglückten Auftakt sofort wieder in die Wüste schickt, muss Becker jedoch nicht fürchten. „Ich bin zufrieden, wie es bisher mit uns läuft“, meinte der Serbe, „es ist erst der Anfang der Saison, wir sehen mal weiter.“ Und auch Becker schien sich seiner Sache sicher: „Novak hat 7:9 im fünften Satz verloren – das kann passieren. Das ist keine Schande.“

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