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Sport: Die neue Farbe Oranje

Pfiffe für die Alten, Ovationen für den Nachwuchs: Die Holländer feiern eine andere Nationalmannschaft

Amsterdam. Der Moment war günstig. Das Volk jubelte über das Tor zum 6:0, und vielleicht hat Dick Advocaat gedacht, er könnte Clarence Seedorf in diesem Trubel einigermaßen unbehelligt aufs Feld schicken. Doch kaum hatte Seedorf den Rasen betreten, änderte sich die Stimmung in der Amsterdam Arena. Das Publikum pfiff, genauso wie bei der Einwechslung von Frank de Boer und Patrick Kluivert. Seedorf, de Boer und Kluivert sind die Symbolfiguren für das inzwischen verhasste alte Oranje, für eine holländische Elf, die zu den schönsten Hoffnungen angeregt hat, diese jedoch nie erfüllt hat. Der größte Erfolg war Platz vier bei der WM 1998 in Frankreich.

Am Mittwochabend, beim 6:0-Sieg gegen die Schotten, könnte in Amsterdam eine neue Epoche des holländischen Fußballs begonnen haben. Zumindest ist eine alte zu Ende gegangen. Für die Helden von einst war es ein inoffizielles Abschiedsspiel, ohne dass sie selbst entscheidend mitwirken durften. Eine neue Zeit hat angefangen, und niemand verkörpert sie im Moment besser als Wesley Sneijder, ein 1,70 Meter kleiner Hänfling, der gegen die Schotten sein drittes Länderspiel bestritt und bei Ajax Amsterdam im Moment nicht mal einen Stammplatz hat. Nach einer Viertelstunde brachte der 19-Jährige die Holländer in Führung, und anschließend bereitete er drei weitere Tore vor. Louis van Gaal, der frühere Bondscoach, sprach nach dem Spiel von „einem Übergang in eine neue Periode“. Dass der 33 Jahre alte Frank de Boer an diesem Abend noch ein Tor (zum 5:0) erzielte, wirkte fast wie ein retardierendes Moment.

Am Tag nach dem Spiel erklärte die „Volkskrant“ die Neunzigerjahre für beendet. Doch noch scheint Bondscoach Dick Advocaat weiter auf der Retrowelle surfen zu wollen. Dass er mit Sneijder und dem 20 Jahre alten Rafael van der Vaart zwei junge Leute von Beginn an aufgeboten hatte, entsprang nicht seiner Überzeugung, sondern war eher „von Verzweiflung inspiriert“ („Volkskrant“). Advocaat wollte die überzeugende Leistung seiner Mannschaft dann auch „nicht damit begründen, dass da zwei junge Spieler auf dem Platz standen“.

Erst unter äußerstem Druck hat „der konservative und überhaupt nicht kreative Bondscoach“ („De Telegraaf“) die Entscheidungen getroffen, die er lange vor sich hergeschoben hat. Im Sturm zum Beispiel schwankte er stetig zwischen Ruud van Nistelrooy und Patrick Kluivert, weshalb er meistens beide spielen ließ. Gegen die Schotten erhielt van Nistelrooy den Vorzug vor Kluivert und erzielte zum ersten Mal in einem Länderspiel drei Tore. Oder im Mittelfeld, in dem sich Edgar Davids lange Zeit als Chef versuchen durfte. Am Mittwoch hat der einstige Superstar von Juventus Turin ungewohnt selbstlos eine Art Wachhund für den 19 Jahre alten Sneijder gespielt. Davids war der beste Mann auf dem Platz. Wenn sich die Alten der neuen Hierarchie unterordnen, können sie der Mannschaft sogar noch gute Dienste erweisen. Allerdings ist es schwer vorstellbar, dass es Leute wie de Boer, Kluivert oder Seedorf mit ihrem Ego vereinbaren können, bei der EM nur Ergänzungsspieler zu sein.

„Man muss jetzt mit den Jungen weitermachen“, forderte Hans van Breukelen, der Torhüter der Europameister-Mannschaft von 1988. Dick Advocaat kündigte an, er werde „nicht noch einmal den Fehler machen, den ich bei der WM 1994 gemacht habe, als ich meine schützende Hand zu lange über einige Spieler gehalten habe“. Trotzdem gibt es in Holland eine gewisse Skepsis, ob Advocaat noch der richtige Trainer ist.

Der „Telegraaf“ schrieb trotz der erfolgreichen Qualifikation für die Europameisterschaft in Portugal über den Bondscoach: „Kaum Ausstrahlung, wenig Glaube an die eigene Stärke, taktisch mäßig bis schlecht, kein Mut und kein Charakter.“ Die Zweifel an seiner Person werden auch genährt durch Advocaats Herumeiern in der Frage, ob er bis zur Europameisterschaft im Amt bleibe. „Im Prinzip ja“, sagte er nach dem Spiel, sein Vertrag sehe das so vor, und erst auf die ungefähr sechste Nachfrage äußerte er sich deutlich: „Ich fahre nach Portugal.“ Sein Gesicht sagte etwas anderes.

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