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Sport: Die neue Lust am Siegen

Beim 2:0 in Iran zeigt sich, dass sich bei der Nationalmannschaft die Prioritäten verschoben haben

Berlin - In dem Interview, in dem Jens Lehmann vor einer Woche kundgetan hat, dass er bei der WM 2006 im Tor der Nationalelf zu stehen gedenke, hat Lehmann auch etwas sehr Kluges gesagt: „Wichtig wäre, dass wir bis zur WM 2006 ungeschlagen bleiben. Wir müssen jetzt eine Serie starten.“ Die Aussage ist schon deshalb bemerkenswert, weil zum Ende der Ära von Rudi Völler ein bisschen der Eindruck entstanden ist, dass das Gewinnen bei Länderspielen keine besondere Priorität mehr genieße. Anders als früher, als es egal war, wie der Gegner hieß, haben die Deutschen in Völlers Amtszeit nicht einmal mehr gegen fußballerische Schwellenländer wie Rumänien, Litauen, Island und Ungarn gewonnen.

Unter dem neuen Bundestrainer Jürgen Klinsmann haben sich die Prioritäten wieder verschoben. Dass der 2:0-Sieg gegen Iran von den Beteiligten angesichts der spielerisch keineswegs exquisiten Leistung fast ein bisschen zu euphorisch bejubelt wurde, lag vor allem am Ergebnis. „Vor dieser Kulisse mit 2:0 zu gewinnen, ist ein tolles Erlebnis“, sagte Klinsmann.

Offensichtlich gibt es bei der Nationalmannschaft eine neue Lust am Siegen, und das ist nur eine von mehreren erfreulichen Veränderungen, die Klinsmann seit der verkorksten Europameisterschaft auf den Weg gebracht hat. Der einzige Verlierer der Entwicklung scheint zurzeit Rudi Völler zu sein. Im Vergleich zum unermüdlichen Modernisierer Klinsmann erscheint Völler inzwischen wie ein Zauderer, der sich damit zufrieden gegeben hat, die misslichen Zustände des deutschen Fußballs zu verwalten. Sein Nachfolger hat den Anspruch, sie zu verändern.

Klinsmanns bisherige Amtszeit ist der entschiedenste Bruch mit der Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Im Grunde hat jeder neue Bundestrainer die Arbeit seines Vorgängers mehr oder weniger unverändert fortgeführt; Klinsmann hingegen hat mit fast allem gebrochen, was vorher war. Die Nationalelf soll nicht mehr das Abbild des deutschen Fußballs sein, sie soll zum Vorbild für Reformen werden und einen neuen nationalen Fußballstil etablieren.

Die Revolution geht diesmal von oben aus, und weil die Nationalmannschaft als erste Mannschaft des Landes stilbildend ist, wirkt Klinsmann auf diese Weise wesentlich stärker auf die Entwicklung des deutschen Fußballs ein als all die schönen Nachwuchskonzepte des DFB. Von Klinsmann jedenfalls hat es bisher keine Klagen über den Zustand des deutschen Nachwuchses gegeben. Im Gegenteil: Er spricht sogar von einer unglaublichen Qualität und arbeitet im Training akribisch an einer weiteren Verbesserung. „Der Trainer hat eine gute Auswahl“, sagt Stürmer Thomas Brdaric, der gegen Iran sein erstes Länderspieltor erzielte. In der letzten Viertelstunde formten drei 20- und ein 22-Jähriger die Viererabwehrkette, und am Ende stand eine nur punktuell verstärkte U-21-Elf auf dem Platz. „Wir sind sehr gut besetzt“, sagt Klinsmann. „Da wächst was zusammen.“

Die bisherigen Resultate stützen Klinsmanns Mut zur Veränderung: Von den drei Spielen hat die Mannschaft noch keins verloren. Außerdem besitzt das Publikum offenbar eine Sehnsucht nach schönem Fußball. Deshalb werden Klinsmanns Maßnahmen trotz ihrer Radikalität mit Wohlwollen begleitet. Und solange die Nationalmannschaft weiter ihre Lust am Siegen befriedigt, wird sich daran nichts ändern.

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