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Sport: Die neuen Fußball-Zwerge

Kerneuropa ist bei der EM gescheitert, weil es keine großen Nationalteams mehr gibt

Angelos Charisteas wollte am Freitagabend nach seinem Tor gegen Frankreich lieber feiern als reden. Als ihn jemand nach den Chancen der Griechen fragte, zuckte er nur müde mit den Achseln. Ein dänischer Journalist hätte gerne seine Einschätzung der Dänen gehört – Charisteas Mund blieb verschlossen. Doch dann, als er erklären sollte, warum alle fünf großen Fußballnationen (Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland, England) aus dem Turnier geflogen waren, wusste er sofort die Antwort: „Es gibt ja heute keine kleinen Teams mehr.“

Schon mal gehört? Rudi Völlers Mantra, die große Fußballweisheit der Spätmoderne, wird sehr gerne als Grund dafür angeführt, dass am kommenden Sonntag zum ersten Mal in der Geschichte der EM kein Mitglied der G5 im Finale stehen wird. Man könnte es allerdings auch ein klein wenig anders betrachten, dann merkt man, dass die These gar nicht zutrifft. Die EM hat eher das Gegenteil bewiesen: Es gibt keine großen Teams mehr.

40 Jahre lang haben die Nationalmannschaften der größten und reichsten europäischen Länder den Fußball auf dem Kontinent wie selbstverständlich dominiert. Sie hatten nicht nur eine sehr viel höhere Anzahl von Spielern als die kleineren Länder, sondern gleichzeitig die größten Vereine sowie eine professionellere Ausbildung und Betreuung. Der deutsche Bundestrainer konnte so zum Beispiel aus gut 398 Profis, die in der Bundesliga beschäftigt waren, wählen; sein schwedischer Kollege musste aus 300 Profis in der viel schwächeren schwedischen Liga die Mannschaft zusammenstellen – plus einige wenige Legionäre.

Doch jetzt ist das anders. Der moderne Fußball ist, wie die globalisierte Wirtschaft, ein geschlossenes System. Stärke oder Qualität werden nicht geschaffen, nur umverteilt. Das bedeutet, dass die so genannten Kleinen im wahrsten Sinne des Wortes auf Kosten der Großen stärker werden. Das Bosman-Urteil hat 1996 die Grenzen für europäische Spieler komplett abgeschafft – 54 Prozent der Spieler, die in Portugal auftraten, sind heute in den großen fünf Ligen beschäftigt. In Italien, England und Deutschland sind so nur noch weniger als 40 Prozent einheimische Kicker angestellt, der Prozentsatz ist in Spanien und Frankreich nicht viel höher. Weil auch in den Klubs und Ligen der kleineren Länder professionell gearbeitet wird, ist der quantitative Vorsprung der großen fünf sehr viel geringer geworden: Rudi Völler kann nur noch aus etwa 150 deutschen Profis im Oberhaus auswählen, die Schweden haben 30 Spieler in den großen fünf Ligen sowie 300 Profis in der nicht mehr so schwachen eigenen Liga.

Die Halbierung der Zahl einheimischer Spieler in den Topligen der G5 hat so alle Mannschaften sehr viel enger zusammengebracht. Es gibt noch Unterschiede, doch die sind nicht mehr so groß, dass man wirklich überrascht sein sollte, wenn die Franzosen gegen Griechenland verlieren oder Italien Dänemark nicht besiegt. Auf einmal werden Details – Schiedsrichterentscheidungen, Auswechslungen oder die Verletzung eines wichtigen Spielers – noch wichtigere Faktoren. Das erklärt, warum Portugal im Grunde keine Europa-Meisterschaft ist, sondern ein Pokal-Wettbewerb mit guten Chancen für Mannschaften ohne große Namen.

Auch der Erfolg der Deutschen bei der WM 2002 wird so nachträglich ins rechte Licht gerückt: Die DFB-Elf spielte in der K.o.-Phase gegen drei nicht-europäische Teams – Paraguay, USA, Südkorea –, in denen überdurchschnittlich wenige Spieler in den großen Ligen beschäftigt waren, folgerichtig reichte der Qualitätsvorsprung. Als sich in der englischen Premier League der Ausländeranteil zwischen 1992 und 2002 verzehnfachte, wurde argumentiert, dass die englischen Profis durch den Wettbewerb besser würden. Wer gut genug ist, kommt auch so durch. Mit anderen Worten: Der Markt regelt das. Doch diese neoliberale Antwort bringt all die jungen deutschen, englischen oder spanischen Spieler nicht weiter. Das Beispiel vom VfB Stuttgart zeigt, dass junge Spieler sich immer dann am besten durchsetzen, wenn ihren Vereinen das Geld fehlt, Stars aus dem Ausland zu kaufen.

Die Klubs der G5 werden auch weiterhin Europas Fußball regieren, ihre Nationalteams aber sind die neuen Zwerge.

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