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Winterspiele 2018: Die Olympia-Gegenspieler

Zwei mal schon fanden in Bayern Olympische Spiele statt. Im Winter 2018 soll es wieder so weit sein, München bewirbt sich. Doch nun könnten ein paar Landbesitzer in Garmisch die Bewerbung kippen. Sie wollen ihr altes Leben behalten.

In Garmisch-Partenkirchen herrscht Krieg, und Alois Rettinger hat gerade eine Großoffensive gestartet. Sie läuft gut, er freut sich, lacht laut, so laut, dass sein Gesicht rot anläuft. „Da haben wir einen Kracher losgehen lassen“, sagt der 70-Jährige und lacht noch lauter. Seinen echten Namen will er nicht nennen. Es ist ein Krieg um Land, auch um das von ihm, Alois Rettinger, und wer weiß schon, was der Gegner vorhat.

Mit Kracher meint Rettinger das Ultimatum, das er mit 58 anderen Grundstücksbesitzern der bayerischen Regierung gestellt hat: Bis übermorgen, zwei Tage vor Weihnachten, soll sie die Bewerbung um die Olympischen Winterspiele im Jahr 2018 zurücknehmen. Garmisch-Partenkirchen gehört wie das Berchtesgadener Land zur Münchner Bewerbung, hier sollen alle Skiwettbewerbe stattfinden, für die viel Land gebraucht wird. Parkplätze und Zuschauertribünen müssen aufgestellt, wahrscheinlich neue Zufahrtstraßen zu den Skipisten gebaut werden. Doch die Grundstücksbesitzer wollen ihr Land nicht zur Verfügung stellen. Und so haben sie einen Schritt gewählt, der auch die Machtverhältnisse in Bayern umdreht: Dem Staat wird eine Frist gesetzt. Die Drohung: Danach müsse dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) in Lausanne mitgeteilt werden, dass der Münchner Bewerbung quasi die Berge fehlen. Bis 11. Januar nächsten Jahres muss München sich endgültig beworben haben, Streitereien um Grundstücke sollte es zu dem Zeitpunkt eigentlich nicht mehr geben.

Das Ultimatum ist ein weiterer Rückschlag für eine schon öfter knirschende Bewerbungskampagne. Nach finanziellen Ungereimtheiten in der Bewerbungsgesellschaft und dem Rückzug ihres Chefs Willy Bogner, schien mit Katarina Witt eine neue, strahlende Hoffnungsträgerin gewonnen. Zudem hatte der Bayerische Landtag in den vergangenen Wochen 200 Millionen Euro für Bau- und ökologische Maßnahmen gebilligt, und man zeigte sich in der Landesregierung zuversichtlich, die Sache mit „einigen wenigen Grundstücken“ im Griff zu haben. Da wirft das Nein der Landbesitzer alles über den Haufen. In den aktuellen Plänen der Olympia-Bewerbung liegen fünf ihrer Parzellen genau dort, wo die Spiele stattfinden sollen, am Zielhang der Kandahar-Abfahrt sowie am Hausberg, wo die Halfpipe für die Snowboarder stehen soll. Dass Olympia ohne diese Grundstücke nicht machbar sei, hat der Chef der Bayerischen Staatskanzlei Siegfried Schneider selbst gesagt.

Rettinger sitzt am Küchentisch seines Einfamilienhauses in einem der ältesten Teile von Garmisch, trägt braune Trachtenjacke, gestreiftes Hemd. Draußen scheint die Sonne auf die schneebedeckten Berge, neben seinem Haus stehen jahrhundertealte Bauernhöfe. Dahinter liegen Weideflächen. Alois Rettingers Familie besitzt dort seit mehr als 200 Jahren Weideland, rund einen Hektar. Ihm wird von der Staatsregierung garantiert, dass er den Hektar genau so wiederbekommt, wie er ihn hergibt. Aber er sagt, dass es Jahrzehnte dauert, „bis aus einer normalen Wiese fruchtbares Land wird“. An eine Rückverwandlung glaubt er nicht. Niemand nähme sich dafür heute noch die Zeit. „Sollten die Olympischen Spiele kommen, wäre es für immer verloren und mit ihm auch eine Lebensform.“

Als „Garmischer Bauernaufstand“ ist der Widerstand bezeichnet worden. Aber Rettinger selbst hat nie als Landwirt gearbeitet, er war Beamter im Rathaus, sein Grundstück hat er an einen Milchbauern verpachtet. Doch die Weide ist für ihn Teil seines Lebens, eine der letzten Bastionen des traditionellen Lebens in Garmisch. „Das soll nicht verloren gehen“, sagt er.

Bei der CSU und ihrem Vorsitzenden Horst Seehofer finden solche Bedenken wenig Gehör. Für sie ist Olympia 2018 ein Großprojekt, von dem sie sich einen Modernisierungsschub für das ganze Land versprechen. Sie wollen Bayern voranbringen. In Garmisch ist das Misstrauen deshalb groß. Obwohl Rettinger nicht gegen die Olympischen Spiele selbst ist, will er die Folgen nicht. Er sagt, die Baumaßnahmen der aktuellen Bewerbung seien nur in abgespeckter Version berücksichtigt, später würden viel mehr als die fünf Grundstücke jetzt betroffen sein, aber Staatsregierung und Gemeinde hätten bisher nicht mit offenen Karten gespielt. „Es reicht nicht mehr“, sagt Alois Rettinger, „nur dagegen zu sein. Zu viel ist passiert.“

Man kennt solche Töne aus Stuttgart und anderen Orten, wo sich der Bürgerprotest gegen Prestigeprojekte formiert. Und auch der Gegner von Alois Rettinger ist mächtig. Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Christian Wulff haben wenige Tage nach dem Ultimatum ausdrücklich die Münchner Olympiabewerbung unterstützt. Viele Bayern finden, dass es nach den Winterspielen 1936 und den Sommerspielen 1972 mal wieder so weit sei für sie.

Eine Mitstreiterin Rettingers hatte immer wieder in den Medien gegen Olympia gesprochen. Ein paar Tage danach war ihr Auto zerkratzt, ihre Hauswand mit Graffiti beschmiert. Die Nachbarn sprechen kein Wort mehr mit ihr. Ein Naturschützer, der ein Bürgerbegehren gegen Olympia organisieren wollte, erhielt eine Morddrohung. Garmisch sei dreigeteilt, sagt Rettinger. Eine Gruppe will die Spiele unbedingt, die zweite will sie, aber nur mit Einschränkungen, und er selbst gehört zur dritten. „Wir wollen sie überhaupt nicht.“

Schon früh hatte man von den Bauern gelesen, die ihr Land für Olympia nicht zur Verfügung stellen wollten. Doch dann ging im Sommer Minister Siegfried Schneider nach Garmisch, um mit den Aufständischen zu sprechen. Es gibt viele Bilder, auf denen Schneider Hände schüttelt. Die Botschaft dazu lautete: Den Grundstücksstreit habe ich im Griff. Die Olympia-Befürworter feierten Schneider für seinen Einsatz.

Auch Alois Rettinger sah im Fernsehen und in den Zeitungen, wie Schneider Hände schüttelte. Er sah, dass es nicht die Hände von den Grundstücksbesitzern waren. Schneider sprach mit Vertretern von Garmischer Vereinen. Die traten als Sprecher der Eigner auf, drei von ihnen hatten auch Ländereien, in der Nähe der Spielstätten. Doch Rettinger und die anderen hatten sie niemals beauftragt, für sie zu verhandeln. Und Schneider fragte nicht nach, mit wem er es zu tun hatte.

Es wurde gesprochen, aber mit den falschen Leuten. Das Unbehagen bei den Bauern wuchs. Wurde da etwas bewusst an ihnen vorbei entwickelt? Als der Nachbarort Oberammergau aus der Bewerbung herausfiel, weil die dortigen Olympiagegner geschlossen aufgetreten waren, begann man auch in Garmisch, sich zu verbünden. Im August sah der Anwalt Ludwig Seitz, wie ein Grundstücksbesitzer im Fernsehen erklärte, die Regierung müsse endlich mit ihnen sprechen. Es war Ignaz Streitel, der frühere Präsident der Weidegenossenschaft. Er kennt alle Grundstücksbesitzer und Landwirte in Garmisch, er war zum Sprecher der Bauern geworden. Der Anwalt rief Streitel an und sagte, „da müssen wir was machen“. 59 willigten ein, sich von ihm vertreten zu lassen. Erst jetzt wurde aus den Einzelkämpfern eine Gruppe, und bis zum Ultimatum sollten Monate vergehen, in denen man in der Staatskanzlei vor allem eines tat: sich taub stellen.

Als Erstes forderte Anwalt Seitz von der Staatskanzlei die Pläne für Olympia an. Keine Antwort. Seitz verfasste wieder ein Schreiben. Wieder keine Antwort. Anfang November erhielt er ein Fax, kaum lesbar, es waren die Pläne. Seitz schrieb erneut. Schließlich kamen die Pläne, per Post. Erst jetzt erfuhren die Bauern, wo was gebaut werden sollte. Mit den Plänen schickte die Regierung fünf Verträge, in denen die Nutzung der Ländereien verankert werden sollte. Genau stand dort aber nirgends, wie groß die Fläche sein würde, die für die Spiele bereitgestellt werden sollte.

Der Anwalt bat den Staatskanzleichef wenig später zum Gespräch nach Garmisch. Das Treffen fand am 26. November abends im Gasthof „Zum Lamm“ statt. Alois Rettinger war als Erster da, zwei Stunden vor dem Termin. Er stellte Tische um, überlegte sich eine Sitzordnung. Es würden viele kommen. Eine Stunde vorher waren fast alle Grundstücksbesitzer da. Den Tisch in der Mitte hielt Rettinger für den Anwalt frei, ihm gegenüber sollte der Chef der Staatskanzlei Siegfried Schneider sitzen. Als Ludwig Seitz kam, bedeckte er den Tisch mit Papieren, er unterhielt sich mit keinem, war hoch konzentriert. Ein paar bestellten sich etwas zu essen. Rettinger hatte an jenem Abend keinen Appetit.

Als mit halbstündiger Verspätung sieben Vertreter der Staatskanzlei, alle in Anzüge gekleidet, den Raum betraten, wurde es ganz still. Schneider schüttelte ein paar Anwesenden die Hand. Dann setzte er sich auf den Stuhl, gegenüber von Ludwig Seitz. „Es war eine Stimmung wie bei einem Showdown im Wilden Westen“, erinnert sich Rettinger. Er saß am Nebentisch, behielt Seitz und Schneider im Blick.

Der wurde immer unruhiger, je länger der Anwalt redete. Dann sagte der Krisenmanager und Chef der Staatskanzlei, er hätte sich das Treffen anders vorgestellt. Die Bauern riefen „Fahr nach Hause, Schneider!“ und „Olympia wird es mit uns nicht geben.“ Sie hätten Angst, enteignet zu werden, erklärte der Anwalt. Schneider entgegnete schnell, soweit würde es nie kommen, dafür würde er sich einsetzen. Wenig später fuhr er mit seinem Tross nach München zurück.

In den Tagen danach passierte nichts. Niemand sprach davon, dass Olympia in Gefahr sei. Die Bauern wurden unruhig, sie hatten wieder das Gefühl, man nehme sie nicht ernst, man würde sie hinhalten. Sie waren sicher, dass die Politiker die Bewerbung im Januar an das IOC schicken würden. Und sie fürchteten, gezwungen zu sein, ihr Land zur Verfügung zu stellen, wenn München den Zuschlag für die Spiele erhielte. Da kamen sie auf die Idee mit dem Ultimatum, es war Seitz’ Idee gewesen, sie klang vernünftig.

„Von einem Rechtsanwalt lassen wir uns kein Ultimatum stellen“, donnerte Ministerpräsident Horst Seehofer. Auch Siegfried Schneider konterte sofort. Die Bewerbung hänge nicht von den Grundstücken der Bauern ab, es gebe viele Alternativen. Welche Alternativen er meinte, behielt er für sich. Doch ein paar Tage später erhielten die fünf Grundstücksbesitzer einen Vertrag, in dem er ihnen mehr Geld für die Verpachtung des Landes während der Spiele versprach. Er glaubte, man könne die Widerständler kaufen. Während die 59 glauben, eine Dynamik aufhalten zu können. Sie fürchten, enteignet zu werden. Schon einmal kam es dazu, als die Nazis Garmisch-Partenkirchen für ihre „Heldenspiele“ umbauten.

Als Alois Rettinger am vergangenen Freitag die Zeitung aufschlug, erschrak er. Der Bürgermeister von Garmisch-Partenkirchen, Thomas Schmid, hatte eine Enteignung beantragt. Ein Grundstücksbesitzer sollte eine Wiese hergeben, weil sie während der Ski-Weltmeisterschaften, die im Februar in Garmisch stattfinden, als Piste gebraucht wird. Doch dann lacht Rettinger wieder so laut, dass sein Kopf rot anläuft. „Sie haben sich selbst entlarvt“, triumphiert er. „Jetzt ist klar, dass sie es für Olympia genau so machen wollen.“

Er lehnt sich auf der Holzbank in seiner Küche zurück und denkt über die Folgen nach. „Das würde das ganze Land aufbringen“, sagt er. „Keiner würde jetzt noch akzeptieren, dass man uns Bürger so behandelt.“ Er könnte dann leicht eine neue Offensive starten.

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