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Sport: Die Stadt, das Stigma und die Stasi

Leipzigs Olympiaplaner tun sich schwer mit der Vergangenheit

Leipzig. In Leipzig ist die Stimmung derzeit gereizt. „Lassen Sie sich nie wieder in unserem Stadtteil blicken, Sie Stasischwein!“, schrieb ein Mann einem anderen Mann in einer bösen E-Mail. Und weiter: „Leute wie Sie hätte man 1989 an den nächsten Baum binden sollen.“ In Leipzig ist die Stimmung gereizt. Vor allem, wenn es um die Stasi geht. Und um Olympia.

Die Bewerbung um die Spiele 2012 hatte in dieser Woche einen neuen Stasi-Fall. Einen, der eigentlich keiner war. Jens Fuge, Chef der Vermarktungsagentur „Westend“, die Leipzigs Bewerbung bislang betreute, war einst Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Zuvor war er allerdings vom DDR-Geheimdienst erpresst worden. Weil der Fußballfan eine illegale Fanclub-Zeitung herausgegeben hatte, sollte Fuge für ein Jahr ins Gefängnis – oder als Spitzel dienen. Im Mai 1983 unterschrieb er eine Verpflichtungserklärung. Doch schnell wurde er als unzuverlässig eingeschätzt, danach geriet er selbst ins Visier der Spitzel. Fuge ist sich sicher: „Ich kann reinen Herzens behaupten, ehrlich geblieben zu sein.“ Trotzdem kündigte die Leipziger Bewerbungsgesellschaft den Vertrag mit Fuges Agentur. Trotzdem bekommt Jens Fuge nun böse E-Mails.

„Wir können bei Olympia nicht mehr unaufgeregt über das Thema Staatssicherheit reden“, klagt Wolfgang Tiefensee, Leipzigs Oberbürgermeister. Und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) meint, man sei bei der Bewertung der Vergangenheit in Leipzig „vielleicht etwas voreilig vorgegangen“. Hat also die deutsche Bewerberstadt gar kein Stasi-Problem? Hat sie nur ein Problem mit Vorurteilen, mit dem Stigma Stasi? Die Leipziger möchten das gern so darstellen. Doch so einfach ist die Sache nicht.

Leipzig hat in den vergangenen Wochen Schwierigkeiten beim Umgang mit der DDR- Geschichte offenbart. Der frühere Dienst des gefeuerten Olympia-Chefplaners Dirk Thärichen bei einem Stasi-Regiment wurde lange im Leipziger Rathaus wie ein Geheimnis behandelt. Die anderen wichtigen Gesellschafter der Bewerbung, das Land Sachsen und das Nationale Olympische Komitee, erfuhren erst später von diesem Umstand und von Thärichens geschöntem Lebenslauf. „Das Problem war nicht die Stasi-Sache, sondern die Handhabung“, heißt es von Mitgliedern des olympischen Aufsichtsrats. „Herr Tiefensee hat in dieser Frage offenbar einen starken Gerechtigkeitssinn, der ihn lange an Thärichen festhalten ließ“, sagt ein hochrangiger Sportfunktionär. Den möglichen Imageschaden für die Bewerbung habe das Leipziger Stadtoberhaupt offenbar unterschätzt – lange bevor die umstrittenen Finanzgeschäfte Thärichens bekannt wurden, die schließlich zu dessen fristloser Entlassung führten.

Das Stigma Stasi hat sich Leipzig teilweise selbst eingehandelt. Viele Sportpolitiker erinnern in diesem Zusammenhang an die Geheimdienst-Affäre vor einem Jahr. Damals, im Mai 2002, musste kurz vor Eröffnung des Turnfestes in Leipzig der Chef-Organisator Volker Mattausch gehen. Er hatte 1987 das DDR-Turnfest mitorganisiert – mit geheimdienstlichen Aufträgen. Mit gefälschten Pässen war Mattausch einst in den Westen gereist und hatte Spitzel angeworben. Nun, inmitten der neuen Turbulenzen um Thärichen, wurde bekannt, dass Mattausch immer noch Werbung für Leipzig macht – im Wirtschaftsförderverein für Olympia 2012.

Und Jens Fuge? Der neue Stasi-Fall ist gar keiner. Nicht nur, weil Fuge in der DDR eher Opfer als Täter war. Sondern auch, weil Leipzigs Olympiaplaner sich sowieso von seiner Vermarktungsagentur trennen wollten. „Die Entscheidung hat nichts mit der Stasi zu tun, sondern mit dem neuen Marketingkonzept der Bewerbung“, sagt Olympia-Geschäftsführer Mike de Vries. „Dass beide Dinge zusammenfielen, ist ein dummer Zufall.“

In Leipzig will das kaum jemand glauben. Denn die Stimmung in der Stadt ist gereizt. Wenn es um Olympia geht. Und die Stasi.

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