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Sport: Die Stille vor dem Schuss

Mit den beiden Toren gegen Hannover soll Marcelinho seine Krise überwunden haben

Berlin. Als alles anfing, stand Marcelinho am Mittelkreis, seine Hände lagen auf dem Rücken, den Kopf hatte er leicht nach unten geneigt. So stehen Fußballer da, wenn sie wissen, dass der Schiedsrichter gleich nach dem Anpfiff wieder in seine Pfeife pfeift, um das Stadion zu einer Schweigeminute in Gedenken an einen verstorbenen Vereinsfunktionär anzuhalten. In Hannover war dies nicht vorgesehen, und trotzdem passte Marcelinhos Haltung ganz gut. Bis zu diesem Sonntag war die komplette Saison für ihn eine Art ausgedehnte Schweigeminute gewesen. Je nach Betrachtungsweise galt Marcelinho (positiv) als Symptom oder (negativ) sogar als Ursache für die Krise des Berliner Fußball- Bundesligisten Hertha BSC. Um kurz nach sechs aber an diesem Abend wurde die Stille mit einem lauten Knall durchbrochen.

Es lief die 41. Minute, als Marcelinho im Mittelfeld den Ball bekam, und weil der Brasilianer von Hannovers Defensive nicht angegriffen wurde, schoss er aus knapp 25 Metern. Nach den bisherigen Maßstäben dieser Saison hätte der Ball weit über die Latte fliegen müssen. Stattdessen landete er zum 1:0 im Tor. „Dass gerade Marcelinho es schießt, war nicht zu erwarten“, sagte Hannovers Trainer Ralf Rangnick. Es war das erste Tor überhaupt, das der Brasilianer in dieser Bundesligasaison erzielte. Im Pokal, gegen Bremen, hatte er schon einmal getroffen: Beim Stand von 0:6 verwandelte er einen Freistoß zum 1:6-Endstand. Früher, da hat Marcelinho nicht nur viele Tore für Hertha geschossen. Da hat er vor allem die wichtigen Tore geschossen.

Das 1:0 in Hannover war so ein wichtiges Tor. Für die Mannschaft, vor allem aber für Marcelinho (und damit auch wieder für die Mannschaft). Bis zu seinem ganz persönlichen Erfolgserlebnis hatte der Brasilianer gespielt wie immer in den letzten Monaten: müde und mutlos, verzagt und verzweifelt. Er hatte im Mittelfeld wieder oft den Ball verloren, Dribblings verpatzt. Nichts Neues eigentlich. „Was das Tor bewirkt hat, hat jeder gesehen“, sagte Rangnick. Plötzlich war Marcelinho wieder der richtige Marcelinho.

Am nächsten Tag, auf dem Weg zum Trainingsplatz, sagte Marcelinho nur: „Wieder da.“ Als habe er in den bisherigen Saisonspielen gar nicht selbst auf dem Platz gestanden, sondern nur eine Art blasses Marcelinho- Double. Arne Friedrich, der kurz vor Schluss den zweiten Treffer des Brasilianers zum 3:1-Endstand vorbereitet hatte, äußerte nach dem Sieg in Hannover den Wunsch, „dass er jetzt hoffentlich wieder der Alte ist“. Und Stürmer Fredi Bobic, dessen eigenes Fortkommen in hohem Maße von der Form Marcelinhos als Vorbereiter abhängt, sagte: „Er hat absolut top gespielt.“

Nach seinem ersten Tor lief Marcelinho über den halben Platz, um Trainer Hans Meyer in die Arme zu springen. „Er hat immer zu mir gehalten“, sagte Marcelinho. „Nach meinen Leistungen zuletzt hätte er mich auch auf die Bank setzen können.“ Doch selbst als die ganze Stadt in der vorigen Woche nach den Ursachen für die Formschwäche des Brasilianers fahndete, versuchte Meyer sogar noch die Tatsache zu leugnen, dass Marcelinho überhaupt in einem Tief stecke. Er wollte den Brasilianer schützen. „Er hat sich selbst sehr unter Druck gesetzt. Von uns hat er keinen Zusatzdruck bekommen.“

Am Tag nach dem Sieg in Hannover gab Herthas Trainer zu: „Es war sein Tor, das ihn hat besser spielen lassen.“ Das Erfolgserlebnis sei eben durch nichts zu ersetzen, „das kannst du nicht durch Gespräche, durch die ganze Quatscherei und Rederei“, sagte Meyer. Vor dem Tor zum 1:0 habe man gemerkt, „was in ihm vorgeht, da hat man gemerkt, dass er nicht der eiskalte Profi ist, sondern ein gefühliger und sensibler Mensch“.

Die Berliner hoffen, dass die Psyche jetzt so gefestigt ist, dass sie auch Rückschläge wegstecken kann, dass Marcelinhos Aufschwung anhält und die Mannschaft durch die Krise trägt. Andererseits sagt Andreas Neuendorf: „Wir als Mannschaft waren nicht in Tritt. Wie soll ein Einzelner uns da rausschießen?“ Vielleicht helfen sie sich jetzt gegenseitig. Marcelinho der Mannschaft, und die Mannschaft Marcelinho. Ach, wäre das schön.

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