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Liegen lernen. Mit Birgit Prinz krümmt sich wieder mal eine deutsche Spielerin am Boden.

© dapd

Deutschlands Spiel gegen Nigeria: Die WM von ihrer härtesten Seite

Das Spiel des deutschen Nationalteams gegen Nigeria bildet das Kontrastprogramm zur bisherigen WM: Aggressionen, Fouls, eine grotesk hohe Fehlerquote, Pfiffe von der Tribüne und viel Frust bei den Stars.

Es sah so aus, als würde es ein großes Fußballfest werden. Am Horizont hinter dem Frankfurter Stadion schimmerte das Abendrot dezent und geschmackvoll durch die Wolkenstreifen, die Frauen-Nationalteams von Nigeria und Deutschland betraten unter dem Jubel des Publikums den Rasen. Die meisten der 48 817 Zuschauer in der ausverkauften Arena sangen die deutsche Hymne leidenschaftlich und feierlich mit, ein kleiner nigerianischer Fanblock feuerte sein Team mit Trompeten und Trommeln an.

Was allerdings nach dem Anpfiff geschah, war für alle Augenzeugen und Beteiligten wie ein Schock, wie die Umkehr des offiziellen WM-Slogans „2011 von seiner schönsten Seite“: 90 Minuten lang gab es kaum Torchancen zu sehen, dafür jede Menge überharter Zweikämpfe und übler Fouls sowie unzählige technische Unzulänglichkeiten und Fehlpässe. „Es war mehr Kampf und Krampf als ein schönes Fußballspiel“, sagte Bundestrainerin Silvia Neid sichtlich erschöpft, nachdem ihre Mannschaft Nigeria mit 1:0 (0:0) niedergerungen hatte. „Wir sind im Viertelfinale, das ist ganz schön. Aber ohne Glanz und Gloria.“

Das zweite Spiel der deutschen Frauen bei dieser WM war wie ein schriller Misston in einer Symphonie, ein fetter schwarzer Farbklecks auf einem bunten Gemälde. Zu Beginn des Turniers hatten viele Beobachter noch gelobt, wie fair die Partien abliefen, wie respektvoll die Spielerinnen miteinander und den Schiedsrichterinnen umgingen. Davon war am Donnerstagabend nichts zu sehen. Das deutsche Team wirkte nervös und gehemmt, selbst einfachste Pässe flipperten kreuz und quer über den Platz, keine Ballannahme wollte gelingen.

16,39 Millionen Zuschauer sehen das Spiel im Fernsehen

Es war bezeichnend, dass Simone Laudehr das einzige Tor nach einem Freistoß mit anschließendem Wirrwarr im Strafraum mit roher Gewalt erzielte. „Wir wirkten einfach nicht frei. Vielleicht ist die Belastung heute doch sehr hoch gewesen“, bekannte Silvia Neid. Die beeindruckende Kulisse und die große öffentliche Aufmerksamkeit – im Schnitt verfolgten 16,39 Millionen Zuschauer das Spiel im Fernsehen, eine erneute Rekordquote für den deutschen Frauenfußball – wollte die Bundestrainerin aber nicht als Entschuldigung für die grotesk hohe Fehlerquote gelten lassen: „Auch wenn 50 000 Menschen im Stadion sind, kann man den Ball annehmen, mitnehmen und die Nächste anspielen.“

Mittelfeldspielerin Kim Kulig suchte die Schuld vor allen Dingen bei sich selbst: „Wir sind alle sehr selbstkritisch und wissen, dass es nicht optimal gelaufen ist.“ Allerdings stimmten alle Deutschen darin überein, dass die grobe Spielweise der Nigerianerinnen dazu beigetragen hatte, wie zerfahren und hektisch die Partie wurde. „Ehrlich gesagt habe ich so etwas noch nie erlebt“, sagte Silvia Neid. „Ich weiß nicht, warum die Schiedsrichterin das nicht unterbunden hat.“ Da es die Unparteiische Sung Mi Cha aus Südkorea verpasste, sich mit einer Gelben Karte frühzeitig Respekt zu verschaffen, dauerte die Treterei von der ersten bis zur letzten Minute. „Ich würde die Schiedsrichterin unter der Rubrik internationale Härte einordnen, wenn ich es positiv ausdrücken möchte“, sagte die deutsche Torhüterin Nadine Angerer. „Die hat von mir einige deutliche Worte bekommen.“

Silvia Neid hatte nach dem Spiel „keine deutsche Spielerin gesehen, die keinen Verband trägt“. Wenigstens stellte sich die Außenband-Verletzung von Melanie Behringer nur als Dehnung heraus, voraussichtlich wird die Mittelfeldspielerin am Dienstag gegen Frankreich wieder auflaufen können.

Die Aggressionen auf dem Rasen übertrugen sich auf die Ränge. Beim deutschen Auftaktspiel gegen Kanada hatten die Zuschauer in Berlin noch brav auf ihren Plätzen gesessen, die Atmosphäre ähnelte eher einem Familienfest denn einem Fußballspiel. In Frankfurt am Main pfiff das Publikum die Nigerianerinnen und das Schiedsrichtergespann unverhohlen aus. Der deutschen Mannschaft blieben die Fans trotz aller Fehler wohlgesonnen, bei Ballverlusten ging aber ein tausendfaches Aufstöhnen durch das Stadion. Auch die Spielerinnen wirkten von sich selbst und der Welt frustriert. Allen voran Kapitänin Birgit Prinz, die nach 52 Minuten ausgewechselt wurde. Auf die Frage, ob Prinz in ihrer Anfangself nach wie vor gesetzt sei, wollte sich Silvia Neid nicht festlegen: „Das muss ich mal schauen. Wir sollten sie aber mal in Ruhe lassen. Birgit hat genauso viel gearbeitet und war genauso glücklos wie alle anderen.“

Es fiel den deutschen Spielerinnen sichtlich schwer, sich über den zweiten Sieg im zweiten Spiel zu freuen. „Das Abwehrverhalten war sehr, sehr gut“, fiel Angerer zumindest ein. Auch Abwehrspielerin Annike Krahn war einigermaßen zufrieden damit, immerhin kein Gegentor bekommen zu haben. Die größte Freude zog Krahn aber aus einer anderen Beobachtung: „Es ist insgesamt noch Steigerungspotenzial da.“

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