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Brot und Spiele. Die Slowenin Marusa Ferk stürzte gestern beim Super-G in St. Moritz. Nach weiteren Stürzen wurde das Rennen wegen zu starken Windes abgebrochen. Foto: AFP

© AFP

Sport: „Die Zuschauer wollen Stürze sehen“

Vor allem bei Abfahrtsrennen verschieben die Fahrer die Grenzen, die sie selbst einfordern

Sie hatte Schmerzen, aber so richtig ernst nahm sie die nicht. Schmerzen gehören dazu nach einer Abfahrt, außerdem musste sich Elisabeth Görgl mit akrobatischer Kunst retten, sonst wäre sie Anfang Dezember auf die beinharte Piste von Lake Louise geknallt. Erst zu Hause, nach einer Untersuchung, wusste sie Bescheid: Innenbandriss im linken Knie, vier Woche Pause für Österreichs Spitzenfahrerin.

Görgl ist der erste prominente Ausfall in der neuen Ski-alpin-Saison. Ein harmloser Ausfall, das ist die zynische und die ehrliche Einschätzung zugleich. 2008 blieb der US-Amerikaner Scott Maccartney mit Schädel-Hirn-Trauma im Zielraum der legendären Streif-Abfahrt in Kitzbühel liegen, 2009 wurde der Schweizer Daniel Albrecht an der gleichen Stelle mit gleicher Diagnose abtransportiert.

In dieser Saison wird es wieder zu einem schweren Unfall kommen, unklar ist nur, wo und wen es betreffen wird. Und dann wird wieder die Diskussion ums Risiko im Sport losgehen, im Ski alpin im Besonderen. Wie jedes Jahr. Es geht um die Frage: Wie reduziert man das Risiko, damit nichts mehr passiert?

Einfache Antwort: Es geht nicht.

Bei diesem Thema gibt es keine Opfer und Täter, es gibt letztlich nur Täter. Sportler, Fans, Medien, Sponsoren, Veranstalter, sie alle bewegen sich auf dem Grat zwischen Voyeurismus und Entsetzen. „Brot und Spiele“, hat es Hubert Hoerterer, der langjährige Mannschaftsarzt der deutschen Skifahrer, genannt.

Auf die Streif kann man das ganze Problem konzentrieren. „Ich hatte Todesangst“, verkündete der Österreicher Fritz Strobl. Aber er hält bis heute die Rekordzeit auf der brutalsten Abfahrt der Welt. Solche Sprüche sind ehrlich, aber zugleich Teil des Marketings. Sie locken das Fernsehen, sie locken Sponsoren und tausende Zuschauer. An einem Streif-Wochenende werden 30 Millionen Euro umgesetzt, das Fernsehen registriert Spitzenquoten, der Sportler hat Todesangst und Nervenkitzel. „Sicher reizen die Veranstalter die Piste bis zur Grenze aus“, sagt Strobl. „Jeder Veranstalter will spektakuläre Rennen.“ Die Streif wird extra noch vereist, damit es noch spektakulärer wird. Streckenchef Peter Obernauer hatte 2008 zufrieden erklärt: „Wir haben die Wellen in der Traverse gelassen. Da wird es viel Leben geben.“ Ein lockerer Spruch, nur hätte es fast ein Leben weniger gegeben – zwei Tage später stürzte Maccartney. Erst danach wurde die Zielkuppe entschärft. Und auf der Abfahrtspiste in Garmisch führte man wieder den Seilbahn-Sprung ein, wo Athleten 40 Meter fliegen; das Fernsehen wollte es so. So sind die Regeln, Ex-Abfahrts-Weltmeister Patrick Ortlieb aus Österreich, sieht das ganz pragmatisch: „Die Zuschauer wollen Stürze sehen. Nur ernsthaft passieren sollte nichts.“

Bloß kann dies keiner garantieren.

Brot und Spiele? Das gilt auch fürs Skispringen. In Kuusamo zum Beispiel oder in Garmisch, als irreguläre Bedingungen herrschten. Oder in Zakopane, Polen. Dort tobte der Schweizer Cheftrainer Berni Schödler einmal: „In Abwägung zwischen Show und Sicherheit hat die Show heute den Vorzug bekommen.“ Das Opfer der Show lag auf dem OP-Tisch. Der Tscheche Jan Mazoch kämpfte nach einem Sturz ums Überleben.

Nach Maccartneys Sturz auf der Streif tobte auch US-Star Bode Miller: „Wir fahren sowieso immer am Limit. Dann ist es doch unverantwortlich, eine Piste schwerer zu machen.“ Ist es, keine Frage. Aber: Bode Miller hat das gesagt? Der Bode Miller, der genug gejammert hatte, Pisten seien zu leicht, zu glatt, sie trennten nicht die echten Männer von den Knaben? Genau, der Bode Miller.

Diese Art von Kritik hat auch etwas Heuchlerisches. Österreichs Rennläufer hatten sich mal bitter beklagt, sie seien nicht in die Sicherheitsdiskussion eingebunden. Ach Gott, erwidert da Günter Hujara, Renndirektor des Ski-Weltverbands: „Es gibt eine Athletenkommission. Aber da geht keiner hin.“ Es lasse sich auch kaum jemand dafür wählen.

Warum wehren sich die Fahrer nicht gegen extreme Bedingungen? „Weil man auch etwas riskieren will“, sagt Strobl. Stimmt, sagt auch der Österreicher Michael Walchhofer, Streif-Sieger von 2006: „Der Reiz, alles zu bezwingen, was man für unmöglich hält, ist eine Sucht.“

Einer der Süchtigen heißt dann wohl Thomas Morgenstern. Bei einem Skisprung-Weltcup in Kuusamo erfasste ihn eine Böe, der Österreicher knallte auf den Rücken und blieb mit einer Gehirnerschütterung liegen. Ein Opfer der widrigen Bedingungen, keine Frage. Aber zugleich auch Täter. Trotz des Winds sprang er mit vollem Risiko ab. Mit zu großem Risiko.

Einer der anderen Süchtigen wird auch auf dem OP-Tisch landen, alles nur eine Frage der Zeit.

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