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Sport: Die zwei Herthas

Die Berliner können sich Ausfälle nicht erlauben

Marcelo dos Santos Paraiba, kurz Marcelinho, ist ein Mensch mit Prinzipien. Einer seiner Grundsätze lautet, dass niemand ihn ungestraft am Fußballspielen hindern darf, nicht einmal für ein paar lächerliche Minuten. In der Bundesliga-Begegnung zwischen Hertha BSC und Bayer Leverkusen lief bereits die Nachspielzeit, die Berliner führten 2:1, als Trainer Falko Götz den Brasilianer vom Feld holte und stattdessen Christopher Samba aufbot. Es war sportlich notwendig, weil der lange Franzose eher für die Abwehrarbeit taugt als der zierliche Brasilianer. Und außerdem eine nette Geste. Marcelinho sollte den ungeteilten Applaus für seinen Beitrag zum Sieg erhalten. Doch seine Miene verdüsterte sich, und wie schon vier Tage zuvor in Genua wollte er gleich in die Kabine flüchten. Erst im letzten Moment drehte er ab zur Trainerbank.

Es wäre kein gutes Zeichen gewesen, wenn der Brasilianer seine geglückte Resozialisierung gleich wieder aufs Spiel gesetzt hätte. Götz berichtete nach dem Spiel, dass er vor dem Spiel „sehr, sehr viel mit ihm gesprochen“ habe. Offenbar mit Erfolg. Nach holpriger erster Hälfte hatte Marcelinho „sehr großen Anteil daran, dass wir drei Punkte aus Leverkusen mitnehmen“, sagte Herthas Trainer. Den Ausgleich durch Yildiray Bastürk bereitete Marcelinho vor, das 2:1 erzielte er selbst. „Ich habe wieder Spaß am Fußball gefunden“, sagte er.

So schnell kann das gehen, und mit einiger Erleichterung werden die Berliner zur Kenntnis nehmen, dass das spezielle Reiz-Reaktions-Schema bei Marcelinho immer noch funktioniert: Je härter die Kritik an ihm, desto besser seine Leistung. Das war schon im Frühjahr so, als er gegen Arne Friedrich handgreiflich geworden war und im anschließenden Spiel gegen Freiburg aus dem Mittelkreis heraus ein Tor erzielte; das war auch vor knapp zwei Monaten so, als er von seinen Mitspielern öffentlich attackiert wurde und schließlich gegen Mainz zweimal traf. „Das zeichnet Spieler seiner Qualität aus“, sagt Götz.

Beunruhigend ist nur, dass der Rhythmus zwischen Genie und Lustlosigkeit bei Marcelinho zuletzt immer schneller wurde. Solche Abschweifungen kann sich Hertha eigentlich nicht leisten, zumal es mit Marko Pantelic bereits einen neuen Kandidaten gibt, der nach psychologischem Beistand schreit. Der Stürmer aus Serbien rutscht immer mehr in die Rolle der tragischen Figur. Gegen Leverkusen lupfte er beim Stand von 0:0 den Ball über das leere Tor und vergab später noch eine zweite wertvolle Chance. „Das hätte spielentscheidend sein können“, sagte Götz.

Andere Klubs, mit denen Hertha sich messen will, mögen solche Ausfälle verkraften können. Die Berliner mit ihrem dünnen Kader und den vielen Nachwuchsleuten können es nicht. Hertha hat eine gut besetzte erste Elf – doch bedingt durch Verletzungen (Bastürk, Gilberto) oder Formschwäche (Kovac, Marcelinho, Pantelic, Rafael) fehlt der Mannschaft die Konstanz des Vorjahres. Das Spiel gegen Leverkusen hat geradezu prototypisch die beiden Herthas dieser Saison gezeigt: in der ersten Halbzeit die träge und uninspirierte, in der zweiten die spielerisch reife und schwer zu bezwingende. „Wir haben gezeigt, dass wir mit einer konzentrierten Leistung auch gegen Mannschaften aus unserem Tabellendrittel auswärts bestehen können“, sagte Falko Götz. Aber wehe, die Konzentration lässt nach.

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