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Wucht und Wille. Natascha Keller (l.) kämpft beim 3:0-Vorrundensieg bei der EM mit Irlands Torhüterin Emma Gray. Foto: dpa

© dpa

Sport: Die EM ist nicht genug

Natascha Keller ist seit 17 Jahren Hockey-Nationalspielerin, hat alles gewonnen – aber immer noch Ziele

Natascha Keller ist an diesem Wochenende mit der Vergangenheit verabredet. Sie freut sich schon darauf, obwohl sie nur wenig Zeit für die Vergangenheit haben wird. Die Hockey-Olympiasiegerinnen von 2004 haben sich zur Europameisterschaft in Mönchengladbach angesagt. Fast alle werden kommen, um den Jahrestag ihres großen Triumphes zu feiern, der sich praktischerweise mit einem Besuch der Heim-EM verbinden lässt. Nur für Natascha Keller ist das ein kleines Problem. Sie wird leider zeitweise verhindert sein. Aber sie hat eine gute Entschuldigung: Sie muss mit der Nationalmannschaft um eine EM-Medaille spielen.

Die Stürmerin des Berliner HC ist eine von drei Olympiasiegerinnen, die noch im aktuellen Kader der Deutschen stehen; Fanny Rinne und Mandy Haase sind die anderen beiden, aber sonst spielt kaum noch einer von damals, nicht mal mehr in der Bundesliga. Keller ist selbst ein bisschen überrascht. Irgendwann in jüngerer Vergangenheit ist diese große Generation des Frauen-Hockeys abgetreten, ohne dass sie es richtig mitbekommen hat. Aber es ist nicht der erste Umbruch, den Natascha Keller erlebt. Nur sie selbst ist immer übrig geblieben.

„Sie ist ein Phänomen“, sagt Kellers Sturmpartnerin Maike Stöckel. „So etwas wird es nicht mehr geben.“ Im Juli ist Natascha Keller 34 geworden, ihr halbes Leben spielt sie jetzt in der Nationalmannschaft, und „warum sollte ich aufhören, wenn es noch so viel Spaß macht?“, fragt sie. Nächstes Jahr will sie zum fünften Mal bei Olympia antreten, und eine wichtige Voraussetzung dafür können die Deutschen schon heute erfüllen: Wenn sie ihr EM-Halbfinale gegen Spanien (21 Uhr) gewinnen, haben sie die Qualifikation für das olympische Turnier bereits sicher.

Angefangen hat alles 1994 in Essen. Natascha Keller hatte gerade mit dem BHC ihre erste Bundesligasaison hinter sich, war auf Anhieb Torschützenkönigin geworden – und stand nun mit 17 zum ersten Mal in der Nationalmannschaft. Von dem Spiel selbst hat Keller nur ein paar verwaschene Erinnerungen. Sie sieht sich noch nach dem Abpfiff alleine mit Katrin Kauschke, ihrer Mitspielerin vom BHC, im Regen über den Platz auslaufen, weil kurz darauf ein wichtiges Spiel mit dem Verein anstand. Sonst ist wenig hängen geblieben. „Ich weiß nicht einmal, ob wir gewonnen haben“, sagt sie. Haben sie, 4:3. „Schön, dann wäre das auch mal geklärt.“

Natascha Keller ist früher gelegentlich als „Gerd Müller des deutschen Frauen-Hockeys“ bezeichnet worden, weil sie so viele Tore erzielt hat. Inzwischen ist sie eher der Lothar Matthäus des deutschen Hockeys, Rekordnationalspielerin mit fast 400 Länderspielen. Nur dass niemand ihr Karriereende herbeisehnt, wie es bei Matthäus der Fall war. Bundestrainer Michael Behrmann hat nach der WM vor einem Jahr inständig „gehofft, dass sie sagt: Es ist noch nicht Schluss.“

Die Karriere der Natascha Keller ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich, wegen ihrer Erfolge genauso wie wegen ihrer Dauer. In Mönchengladbach spielt sie ihre sechste Europameisterschaft. Die wenigsten Hockey-Nationalspieler halten so lange durch, weil sie zwar wie Profis trainieren müssen, aber wie Amateure bezahlt werden. Leben kann von diesem Sport auf Dauer niemand, und spätestens der Eintritt in den Beruf zieht in der Regel den Austritt aus der Nationalmannschaft nach sich. Natascha Keller aber hat das Glück, dass ihr Arbeitgeber zugleich Präsident des BHC ist und ihre sportlichen Ambitionen nach Kräften unterstützt.

Trotzdem hat es Phasen gegeben, in denen Keller ans Aufhören gedacht hat. Nach Olympia 2000 zum Beispiel, als sie erst einmal ein halbes Jahr Pause brauchte. „Ich habe immer im richtigen Moment erkannt, wann es zu viel war“, sagt Keller. Früher habe sie nie genug vom Hockey bekommen, nach großen Turnieren gleich wieder angefangen. Das ist inzwischen anders. Auch nach der WM 2010, die eigentlich der Abschluss ihrer internationalen Karriere sein sollte, hat sie sich eine Auszeit genommen – und ihre Entscheidung noch einmal revidiert. Keller hatte das Gefühl, dass 2010 „irgendwie ein ganz gutes Jahr“ für sie persönlich war. Zu gut, um aufzuhören.

„Sie ist eine Ausnahmespielerin“, sagt Fanny Rinne. „Wenn sie gut drauf ist, beherrscht sie alle Feinheiten des Hockeys. Und im Moment ist sie gut drauf.“ In dieser Woche, im EM-Spiel gegen Belgien, bekam Keller nach einer Strafecke den Ball auf den Schläger, sie zog einfach los, lockte drei Gegnerinnen aus der Deckung und spielte zu Eileen Hoffmann, die den Ball nur noch ins leere Tor lenken musste. „Das war hervorragend von ihr“, sagt Bundestrainer Behrmann, „auch wenn wir das natürlich nicht so trainiert haben.“

Natascha Keller besitzt ein inneres Gespür für dieses Spiel, und das macht sie vielleicht noch ein bisschen besser, als sie es früher schon war. „Technik hatte ich immer“, sagt sie. „Jetzt sind noch Erfahrung, Schnelligkeit mit dem Ball und Übersicht hinzugekommen.“ Keller weiß, dass sie nicht um ihren Platz in der Nationalmannschaft fürchten muss, trotzdem sagt sie, sie wolle nicht als Touristin mit nach London fahren. Es soll nicht passieren, dass man über sie denkt: „Die Alte müssen wir noch mitschleppen.“

Die Gefahr ist gering, weil Kellers Motivation immer noch groß ist. Dabei hat sie in ihrer Karriere alles doppelt und dreifach gewonnen: Sie war Deutsche Meisterin, Europameisterin, Weltmeisterin in der Halle, Olympiasiegerin. „Ich kann morgen aufhören und bin total zufrieden“, sagt sie. Nur der Weltmeistertitel auf dem Feld fehlt ihr noch. Die nächste WM findet 2014 statt, in Holland, wo die Hockey-Begeisterung traditionell besonders groß ist. „Das ist richtig cool“, sagt Natascha Keller. Aufhören wird sie trotzdem nach Olympia. „Definitiv.“

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