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Die schönsten Paralympics hatte Karl Quade 1988. In Seoul gewann er die Goldmedaille im Volleyball - 14 Tage später heiratete er seine Frau.

© dpa

Karl Quade über die Paralympics in Tokio: „Diese Spiele sind wichtig für die Zukunft“

Karl Quade, Chef de Mission des deutschen Teams, über seine 13. Teilnahme an den Paralympics, Nudel-Partys und Mitbringsel, über die sich seine Frau ärgert.

Herr Quade, es heißt, Sie schätzen die Hausmannskost und essen gerne Grünkohl. Die Frage, an der sich die Geister scheiden: mit oder ohne Pinkel?

Mit! Dann auch gerne mit Schwarzwurst, und allem, was es noch gibt. Ich habe das Glück, dass ich alles essen kann und sehr viel sehr gerne mag. In Norddeutschland gibt es die berühmten Grünkohlessen in der Nachbarschaft und in den Sportvereinen. Leider fielen sie vergangenen Winter wegen der Pandemie größtenteils aus.

Ist Grünkohl eine adäquate Ernährung für Sportler?

Grünkohl ist sicherlich auch ein Power Food – zumindest auf irgendeine Art und Weise. Das kommt dann ganz auf die Zubereitung an. Wenn man das wie zum klassischen Grünkohlessen anrichtet, kann man es ab und an mal zu sich nehmen. Das sollte dann aber für Leistungssportler kein Grundnahrungsmittel sein.

Wie haben Sie sich während Ihrer Zeit als Volleyballer ernährt?

Eigentlich ganz normal. Damals gab es noch keine so ausgeklügelten Ernährungsangebote in den paralympischen Dörfern. Heute stehen ja bei jedem Gericht die Nährwerte dran. Eiweiße, Fett, Zucker, und weiß Gott, was alles. Als Volleyballer ist man auch nicht so auf bestimmte Ernährungssituationen angewiesen wie etwa ein Marathoni, der seine Nudel-Partys macht. Wichtig ist sicherlich die Menge des Essens.

Nach Ihrer Zeit als aktiver Sportler wurden Sie Vizepräsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS) und waren in Ihrer Rolle als Chef de Mission bei mehr als einem Dutzend Paralympics für die deutsche Mannschaft zuständig. Was würden Sie gerne noch einmal während der Spiele erleben?

Dass bei uns der sportliche Erfolg mal wieder nach oben geht. Zuletzt hatten wir immer kleinere Mannschaften und damit auch weniger Erfolgsaussichten. Das hängt damit zusammen, dass auf die gleichbleibende Anzahl an Startplätzen bei den Paralympics immer mehr teilnehmende Nationen kommen. Und dann hoffe ich natürlich jedes Mal aufs Neue, dass wir hinterher heil nach Hause kommen. Das klappt oft gut, manchmal aber eben auch nicht.

Warum nicht?

Wir hatten schon häufiger vor Ort ernsthafte Krankheitsfälle, die dann auch eines sehr speziellen Transports bedurften. Uns stellen sich dann Fragen wie: Reicht ein Linienflug? Muss ein Notfallmediziner mitreisen? Braucht es einen Spezialtransport? Wir versuchen, Athletinnen und Athleten und Betreuer, die vor Ort erkranken, möglichst schnell in das deutsche Gesundheitssystem zu überführen.

Herr Quade, wann war Ihr erster Kontakt mit dem Para-Sport?

Aufgrund meiner geringen Behinderung hatte ich in der Kindheit und Jugend nie Kontakt dazu. Ich habe weder Reha-Sport gemacht, noch war ich im Behindertensportverband. Ich bin wie alle anderen zum Turnverein und als Kind des Ruhrgebiets habe ich Fußball gespielt, später dann Volleyball. 1984 sprach mich mein Trainer beim TV Düren an, weil die Klassifizierung für Stand-Volleyball bei den Paralympics geändert wurde. Der wusste von meiner Behinderung und sagte: „Komm, wir versuchen dich jetzt mal da zu klassifizieren.“ Gleichzeitig kam der Joseph Kaulen aus Düren dazu, der hatte eine Beinlähmung und konnte vorher auch nicht mitspielen. Er ist 1984 auch mit zu den Spielen nach New York gekommen.

Was ist für Sie das Schöne am Volleyball?

Dass man keine brutalen Fouls hat – und das es ein Mannschaftssport ist. Diesen Zusammenhalt, den muss man leben, egal auf welcher Ebene. Von der dritten Kreisklasse bis zur Nationalmannschaft. Und die hohen technischen Ansprüche! Die Sportart ist offen für viele Körpertypen. Es gibt für verschiedene Körperbautypen auch verschiedene Positionen. Und: dass man das Ganze in Mixed-Form spielen kann. Zwar nicht im Spitzensport, aber in der Breite, wo ich früher auch immer mitgemacht habe, wenn man dann unter der Woche mal gespielt hat.

Verfolgen Sie Para-Volleyball auch heute noch?

Ja, sehr gerne. Ich war neulich eine Woche in Duisburg, beim Qualifikationsturnier. Mich interessiert auch, was meine ehemalige Mannschaft in Leverkusen macht. Ich bin auch regelmäßig bei deutschen Meisterschaften. Die internationalen Spiele verfolgt man eh. Das Endspiel von Rio, Iran gegen Bosnien, habe ich bestimmt schon vier-, fünfmal in voller Länge angeguckt. Dieses extrem schnelle Spiel auf höchstem Niveau – ich finde es immer wieder faszinierend.

Richten wir den Blick auf die diesjährigen Spiele: Warum ist Japan ein guter Ort für die Paralympics?

Japan hat sicherlich sehr viele Erfahrungen, was den Umgang mit Menschen mit Behinderung angeht. Das Land hat 1964 schon die damaligen Paralympics mit großem Respekt ausgerichtet. Nagano ´98 im Winter war auch eine gute Geschichte: schönes Dorf, aber lange Wege zu den Sportstätten. Sonst war alles spitze. Japan ist sicherlich auch ein Land, das grundsätzlich sehr barrierefrei ist. 2019, als wir zum Chef-de-Mission-Seminar da waren, konnten wir feststellen, dass zumindest Tokio sehr barrierefrei ist. Dazu ist die japanische Kultur eine sehr höfliche. Ich hoffe, dass alles gut funktioniert und die Spiele trotz der Verschiebung schön werden. Japan hat das verdient.

Freuen Sie sich persönlich auf die Spiele?

Ja, ich bin gerne in der Region, auch in Japan. Ich fühle mich dort wohl. Und ich freue mich immer auf die paralympischen Spiele – auch wenn sie diesmal unter einem besonderen Stern stehen. Highlights, Top-Sport, Top-Athletinnen und -Athleten wird man aber trotzdem sehen, und wenn man im paralympischen Dorf sein darf, ist das immer etwas ganz Besonders. Auch wenn es dieses Mal vielleicht nicht ganz so wird wie sonst. Ich freue mich vor allem darüber, dass viele Sportlerinnen und Sportler von uns die Gelegenheit haben, dahin zu fahren und den Lohn für die vielen Jahre harten Trainings bekommen.

Wenn man mit Athletinnen und Athleten über die bevorstehenden Spiele spricht, dann antworten sie meist abwägend und mit Formulierungen wie „Einerseits, andererseits“. Wie schätzen Sie die Stimmungslage im deutschen Team ein?

Es ist ja nicht so, als würden die Corona-Bedingungen auf einmal vom Himmel fallen. Alle kennen diese Art Wettkämpfe und wissen, wie man sich zu verhalten hat. Man hat sich, denke ich, ein wenig damit arrangiert. Es gibt ganz, ganz wenige, die von sich aus sagen, dass sie nicht dahin wollen. Der Radsportler Hans-Peter Durst ist einer von ihnen. Das respektieren wir. Andere sind zurückgetreten aus Gründen, die nichts mit Corona zu tun haben. Etwa, weil es körperlich nicht mehr geht. Oder sie haben – leider, muss man aus unserer Sicht sagen – sehr gute Arbeitsangebote bekommen und mussten sich entscheiden zwischen Tokio und einem guten Job. Die meisten aber wollen dahin, wollen sich zeigen und freuen sich auch.

Werden die Spiele in Japan die wichtigsten Paralympics in ihrer Geschichte, wie es der IPC-Präsident ankündigte?

Das muss man erst einmal abwarten. Es ist wichtig, dass sie überhaupt durchgeführt werden, denn daraus kann man unglaublich viel lernen. Zu zeigen, dass auch während einer Pandemie ein Sportereignis dieser Dimension sicher durchgeführt werden kann – das ist für alle Beteiligten Neuland. Dahingehend sind diese Spiele wichtig für die Zukunft, denn es ist ja keineswegs ausgeschlossen, dass nicht noch andere Pandemien auf uns zukommen. Dass diese Spiele für die Bewegung die wichtigsten sind, würde ich eher bezweifeln. Aus meiner Sicht waren Spiele der Vergangenheit wie in Seoul oder in Barcelona wichtiger.

Wie schätzen Sie die Medaillenchancen der Gastgeber ein?

Der Para-Sport hat in Japan eine lange Tradition. Sie hatten immer gute Mannschaften, zu Sommer- wie zu Winterspielen. In der Regel sind die Ausrichternationen immer besonders gut, was das sportliche Abschneiden angeht. Zum einen, weil sie natürlich unglaublich viele Startplätze haben. Andererseits, weil mit der Vergabe der Spiele auch Milch und Honig in den Spitzensport fließt, sprich Geld. Dadurch sind ganz andere Arten der Vorbereitung möglich. Para-Sport in Japan ist sehr bekannt, Markus Rehm war ja auch mehrmals vor Ort und als er dann zu Demo-Wettbewerben angetreten ist, hatten sie Wahnsinns-Einschaltquoten im TV.

Herr Quade, Sie sind schon so lange dabei, dass man gerne mal Mr. Paralympics zu Ihnen sagt. Sehen Sie sich selbst eigentlich auch so?

Ich habe nichts gegen den Begriff. Im Gegenteil, es ehrt mich, dass man mich ab und an so nennt. Ich habe auf der einen Seite großes Interesse an dieser Bewegung. Auf der anderen Seite versuche ich mit meinen beschränkten Mitteln dort zu helfen, wo ich kann. Wenn man so lange dabei ist, kann man natürlich bestens erklären, warum die Dinge so sind, wie sie sind oder was sich im Laufe der Zeit verändert hat.

Wie hat sich denn aus Ihrer Sicht in den vergangenen 40 Jahren in Deutschland der Para-Sport entwickelt?

Als ich anfing, war alles noch kriegsbehindertendominiert. Der DBS-Präsident war Kriegsbehinderter, und in den Vereinen hatten größtenteils Menschen aus der Kriegsgeneration das Sagen. Erst wenige Jahre zuvor hatte sich der Verband umbenannt – von Deutscher Versehrtensportverband, was eindeutig auf Kriegsversehrte verweist, in Deutscher Behindertensportverband. Die Kriegsbehinderten sahen sich als eine Art Elite, klar, das hatte in den 80er- und 90er-Jahren irgendwann sein biologisches Ende und immer mehr Zivilbehinderte haben Einzug in den Behindertensport gefunden. Das hat den Sport gewaltig verändert. Zum Beispiel hat der Sport sich hin zu Menschen mit geistiger Behinderung geöffnet.

Und im Vergleich zum olympischen Sport?

Anfangs gab es dort extrem wenige Gemeinsamkeiten. Das hing auch damit zusammen, dass der olympische Sport den Para-Sport gar nicht in seinen Reihen haben wollte. In den 1990er- und den 2000er-Jahren hat man versucht zusammenzukommen. Sukzessive haben wir uns angeglichen und angefangen, Leistungssportkonzepte und Strukturen zu entwickeln, haben Stützpunkte aufgebaut. Alles Bausteine, die man aus dem Nicht-Behindertensport kannte und die im Behindertensport größtenteils unbekannt waren. Ich hatte dann noch das Glück, dass ich Mitstreiter hatte wie Frank-Thomas Hartleb, den jetzigen Sportdirektor, der auch auf diese Schiene wollte. Das war alles gar nicht so einfach, denn in Frankfurt, beim Deutschen Olympischen Sportbund, waren wir lange Zeit nicht gut gelitten.

Ich sehe auf dem Bildschirm gerade eine Decke bei Ihnen im Hintergrund, auf der ganz viele Piktogramme zu den Sportarten abgebildet sind. Von welchen Spielen ist die?

(Holt die Decke hervor und breitet sie aus) Die hier ist aus London.

Was hat es mit der Decke auf sich?

Seit Sydney haben die Ausrichter immer solche Decken produziert. Und ab und an – wie in London – ist es auch eine inklusive Decke, weil alle Sportarten drauf sind, die paralympischen wie die olympischen. Ich darf die kaum noch mitbringen, meine Frau schimpft dann, denn wir haben schon einige dieser Decken. Das ist auch für die Mannschaft immer ein nettes Mitbringsel. Vor allem die neuen Mitglieder sind immer ganz heiß auf diese Dinge.

Sie sind bestimmt schon mehrmals um die Welt geflogen, sagen aber von sich, dass sie lieber Zug fahren. In ihrer Freizeit segeln sie gerne. Würden Sie gerne einmal die Welt umsegeln?

Gerne doch, aber das ist natürlich eine Sache, deren Umsetzung sehr viel kostet. Einmal haben meine Frau und ich die Runde schon gemacht, aber tatsächlich nur in einem Flugzeug. Anlässlich unserer Silbernen Hochzeit sind wir zu unseren gemeinsamen Orten der Paralympics geflogen, einmal um die Welt. Wir waren ja ´84, ´88 und ´92 zusammen in den Mannschaften. Reizen würde mich eine Weltreise auf jeden Fall. Vielleicht eher noch auf einem großen Schiff als auf einer kleinen Yacht. Da bin ich, glaube ich, dann auch zu alt für.

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier.

Max Fluder

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