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Gerdemann

© AFP

Tour de France: Gelbe Inszenierung

T-Mobile-Fahrer Linus Gerdemann nutzt seinen Sieg auf der siebten Etappe zum Antidoping-Fanal, doch die Skepsis bleibt.

Man weiß nicht so recht, was man anfangen soll, mit diesem Linus Gerdemann. Da ist einerseits dieser wirklich nette westfälische Junge mit der wilden blonden Mähne und den großen blauen Augen, der so herrlich mutig bei der ersten Alpenetappe einfach mal drauflos fuhr, wie aus Versehen allen davon stiefelte und dabei auch noch das Gelbe Trikot abstaubte. Und der danach vor Überwältigung gar nicht mehr aufhören konnte, herzerweichend zu schluchzen.

Und dann ist da derselbe Junge, der im gleichen Atemzug verkündet, dass er für den neuen, sauberen Radsport stehe und für die Zukunft und für eine neue Generation. „Unser Sport geht durch schwierige Zeiten“, diktierte er staatsmännisch der Radsportweltpresse in die Blöcke. Er sprach von einer „großen Verantwortung“, die auf den Schultern der Jungen laste. Das klang dem sehr ähnlich, was simultan Pressesprecher Christian Frommert, ein paar Meter weiter stehend, proklamierte: „Mit Linus Gerdemann tritt eine junge Generation aus dem Schatten der alten Garde. Gerdemann ist jemand, der unseren offensiven Antidopingkampf voll mitträgt und nach außen vertritt." Eine Absprache kann es nicht gegeben haben, die beiden T-Mobile-Vertreter, Gerdemann und Frommert, waren sich nach dem Siegesritt des 24-jährigen Münsteraners noch nicht begegnet.

Aber Gerdemann ist ein helles Köpfchen, und er hat verstanden, wo es lang geht bei T-Mobile. Die Marketing-Planer in Bonn haben beschlossen, nach dem Ullrich-Debakel im vergangenen Jahr nicht auszusteigen. Für das Konzern-Image wurde es für strategisch sinnvoller befunden, als Kraft der Erneuerung in einem schönen, aber versauten Sport aufzutreten. Re-Branding nennt man das in Marketing-Kreisen. Einst sollte T-Mobile mit Ullrich für Dynamik, Modernität, Leistung und Teamwork stehen. Jetzt soll das Team dem Konzern attestieren, dass er zum Umdenken, zur Erneuerung fähig ist.

Gerdemann hat das verinnerlicht und so sprudelte es nur so aus ihm heraus, wofür er zu stehen hat, als er in Le Grand Bornand seinen großen Sieg feierte. Es war sehr überzeugend, und man wollte es ihm gerne glauben, weil er ja wirklich mitreißend gefahren war. Und weil man sich wünscht, die Tour wieder genießen zu dürfen. Aber das kam alles etwas zu schnell und war alles ein wenig zu einstudiert. Wer sich wirklich selbst damit überrascht, dass er plötzlich in seiner Disziplin in die Weltspitze vorstößt, der hat keine Rede vorbereitet, wem oder welcher Sache er den Sieg widmet. Aber Linus Gerdemann war nicht wirklich überrascht. Er kennt sein Talent und ist vor anderthalb Jahren zu T-Mobile gegangen, weil er glaubte, dort nach dem damals schon absehbaren Abtritt Ullrichs am schnellsten sein Chance zu bekommen. Und er sollte Recht behalten, sogar als neuer T-Mobile-Kapitän fährt er jetzt durch Frankreich, nachdem Michael Rogers am Sonntag verletzungsbedingt aufgeben musste.

Zum Team der Erneuerung wurde T-Mobile allerdings erst später, nach der Demission von Ullrich. „Ich bin damals auch zu T-Mobile, weil ich mit Jan Ullrich fahren und von ihm lernen wollte. Er war mein Idol“, gab Linus Gerdemann am Samstag zu. Erst im vergangenen Herbst als Bob Stapleton T-Mobile übernahm und der ganze Laden den alten Radsportlern Godefroot und Ludwig weggenommen wurde, entdeckte T-Mobile, dass Gerdemann auch in das neue Konzept wunderbar hinein passt. Hier die Konzernstrategen, die die Kontrolle über ihre Investition in die Hand nahmen und sich weigerten, sich von traditionalistischen Radsportinsidern, Sturköpfen und Gaunern ins Handwerk pfuschen zu lassen. Dort der talentierte Newcomer, der noch unprofiliert genug war, um sich im Sinne der Konzern-Politik präsentieren zu lassen.

Jetzt erzeugt die Verbindung überraschend schnelle Synergien. „So schön kann Radsport sein“, freute sich T-Mobile-Chef Bob Stapleton darüber, dass alles so wunderbar passte: Der Sieg, die unschuldige Rührung von Gerdemann, seine linientreue Siegesrede und der wunderbare Tag in den savoyischen Alpen. Das war doch etwas anderes als dieser Andreas Klöden und dieser Matthias Kessler, die nach ihren Erfolgen für T-Mobile im vergangenen Jahr noch von der Freundschaft mit Jan Ullrich plapperten.

Aber etwas an der Inszenierung vom Samstag war einen Tick zu rund. Vielleicht wäre es überzeugender gewesen, wenn Gerdemann einfach beim Schluchzen und bei einer durchaus nachvollziehbaren Sprachlosigkeit geblieben wäre. Sein Sieg hätte auch Spaß gemacht, wenn er nicht sofort in ein Fanal umgemünzt worden wäre. Und die Skepsis, die im Radsport nach wie vor angebracht ist, bleibt bestehen. Egal, wie oft Gerdemann die Parolen seines Arbeitgebers noch rezitiert.

Sebastian Moll[Tignes]

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