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gelbes Trikot

© AFP

Tour de France: Mannschaft ohne Skrupel

Alberto Contador führt die Tour an – sein Team Discovery Channel blendet Fragen zum Doping aus.

Hatte Johan Bruyneel die Frage nicht verstanden? Eigentlich war sie doch einfach gewesen. Der Direktor des Teams Discovery Channel sollte erklären, aus welchem Grund man seinem Fahrer Alberto Contador, nach der Demission von Michael Rasmussen Träger des Gelben Trikots und voraussichtlicher neuer Tour-Sieger, trauen soll. Woher soll man wissen, dass nicht auch er seine Leistungsfähigkeit manipuliert, zumal er im vergangenen Jahr in den Listen des Dopingarztes Fuentes aufgetaucht war. Contador, so die Antwort, trainiere hart und sei ein Riesentalent.

Das sind freilich Dinge, die man auch über Michael Rasmussen sagen konnte oder über Alexander Winokurow. Oder über Lance Armstrong und Jan Ullrich. Kurz, Bruyneel hatte keine Antwort auf die Frage. So geht es vielen bei dieser Tour – selbst Teamchef Hans-Michael Holczer von Gerolsteiner. Der gibt zu: „Ich habe keine Garantie, dass nicht irgendeiner meiner Leute irgendetwas macht, von dem ich nichts weiß.“ Aber solche Offenheit ist nicht der Stil des Belgiers, dem Architekten von Armstrongs sieben Tour-Siegen, der nun vor seinem achten Tour-Sieg als Sportlicher Leiter in neun Jahren steht. Im Fokus steht dabei aber der unter Dopingverdacht stehende Alberto Contador, der auf der 18. Etappe am Freitag im Gelben Trikot fuhr (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe beendet).

Wenn es ein Musterbeispiel des „alten Denkens“ im Radsport gibt, ist das Johan Bruyneel. Für ihn gibt es nur ein Handlunsgparamater: das Gewinnen. Er ist der erfolgreichste Teamleiter im Radsport, er ist kompromissloser als seine Kollegen. Gemeinsam mit seinem Champion und jetzigem Ko-Eigner der Mannschaft, Lance Armstrong selbst, verstand Bruyneel es, alle Prozesse in seiner Organisation auf das eine Ergebnis hin zu trimmen: den Tour-Sieg. Jetzt sind Bruyneel und Armstrong nach nur einem Jahr Pause schon wieder so weit.

Zweifelsohne verdankt Discovery den voraussichtlichen Tour-Sieg der Tatsache, dass sie an ihrer skrupellosen Herangehensweise nach Armstrongs Abtritt nichts verändert haben. So gab Discovery etwa Ivan Basso zum Jahresbeginn einen Vertrag, obwohl der Giro-d’Italia- Sieger tief in die Fuentes-Affäre verstrickt war und sich kein anderes Profiteam an ihm die Finger verbrennen wollte. „Er ist nicht gesperrt, und er hat die offizielle Startberechtigung“, lautete damals die trotzige Begründung Bruyneels. Gleiches galt für Contador, der durch den madrilenischen Untersuchungsrichter Antonio Serrano in der Sache Fuentes nach einer Anhörung entlastet wurde. Über Contadors Vergangenheit unter dem schwer belasteten spanischen Radsport-Patriarchen Manolo Saiz stehen jedoch viele Fragen im Raum.

Bruyneels Umgang mit dem Thema Doping gleicht jenem von Theo de Rooy von Rasmussens Team Rabobank. Die Unschuldvermutung wird bis zum Letzten ausgenutzt. Wer nicht verurteilt ist oder einen positiven Dopingtest hat, sitzt legitim im Sattel. So konnte Rasmussen mehr als eine Woche im Gelben Trikot in Frankreich herumradeln, bevor er auf Druck des Teamsponsors endlich aus dem Verkehr gezogen wurde. Es ist jene Einstellung, die am trefflichsten in Lance Armstrongs jahrelanger Standardantwort auf die Dopingfrage zum Ausdruck kommt: „Ich bin nie positiv getestet worden.“ Das ist freilich die Attitüde, die der Radsport sich nicht mehr leisten kann.

Bruyneel und Armstrong möchten um jeden Preis mit ihrem Team Discovery Channel gewinnen. „Armstrong will nicht geliebt werden, er will allen in den Arsch treten“, sagte einmal ein Mannschaftskamerad. Das könnte Armstrong am Sonntag voraussichtlich mit Hilfe von Sieger Alberto Contador zum achten Mal tun. Durch das Gelbe Trikot, so hoffen Armstrong und Bruyneel, wird sich auch ein neuer Teamsponsor finden. Der Medienkonzern Discovery steigt zum Jahresende aus. Vielleicht aber ist bedingungsloses Erfolgsstreben gar nicht mehr das, womit sich Konzerne schmücken möchten. Das wäre vermutlich der einzige Grund für Leute wie Bruyneel, einmal umzudenken. Dann aber könnte es zu spät sein.

Heute führt das Einzelzeitfahren über 55,5 km von Cognac nach Angoulême.

Sebastian Moll

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