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Sport: „Du musst ihnen auf die Nerven gehen“

Joachim Löw, der Kotrainer der Nationalmannschaft, über das Viertelfinale gegen Argentinien

Herr Löw, sind Sie froh, dass Sie im Viertelfinale gegen Argentinien Außenseiter sind?

Als Außenseiter sehen wir uns nicht – auch wenn Argentinien viele Stärken und fast keine Schwächen hat. In den letzten beiden Jahren waren sie wahrscheinlich noch stärker als Brasilien. Man muss nur sehen, welche Möglichkeiten die Argentinier haben: Die tauschen Weltklasse gegen Weltklasse. Da kommen Messi und Tevez, zwei internationale Klassespieler, für Crespo und Saviola. Dafür besitzen wir den Heimvorteil und inzwischen auch die Überzeugung, dass wir solche Mannschaften schlagen können.

Warum gelingt das am Freitag?

Wir haben im vorigen Jahr zweimal ein gutes Spiel gegen die Argentinier gemacht, beim Confed-Cup und ein paar Monate zuvor in Düsseldorf. Wir müssen allerdings sehr hochtourig laufen, alle enorm gut spielen und eine hervorragende Tagesverfassung auf den Platz bringen. Wenn drei oder vier Spieler am Freitag ihre beste Form nicht erreichen, wird es schwer.

Voriges Jahr endeten beide Spiele 2:2. Was muss sich verbessern, damit die Deutschen gewinnen?

Die beiden Spiele haben gezeigt, dass du gegen Argentinien in 90 Minuten kaum einen Fehler machen und auch nicht nachlassen darfst, wenn du mal in Führung gehst. Argentinien ist die Mannschaft, die das Tempo am besten variieren kann. Wenn sie in Rückstand gerät, kann sie noch einmal unglaublich anziehen und viel Druck machen. Das hat man auch im Achtelfinale gegen Mexiko gesehen. In unseren Spielen gegen Costa Rica oder Ekuador hatten wir immer wieder Phasen, in denen wir auch mal die Kontrolle etwas verloren haben. Unsere Gegner haben uns zwar nicht weh getan. Aber Argentinien kann uns weh tun.

Man hatte vor einem Jahr den Eindruck, dass die Argentinier ihr Spiel am Ende noch einmal beschleunigen konnten und die Deutschen nicht mehr mitkamen.

Das war unser Problem, vor allem beim Spiel in Düsseldorf. Wir haben 60 Minuten gutes Pressing gespielt, dann haben wir nachgelassen, waren nicht mehr so konzentriert, hatten viele Ballverluste. Es war fast zwangsläufig, dass die Argentinier noch ein Tor erzielen. Du musst sie praktisch ständig stören – wie ein Bienenschwarm – und ihnen auf die Nerven gehen, egal wo der Ball ist. Du musst ihnen die Lust am Fußball nehmen. Nicht nur 60 Minuten, sondern 90. Ich glaube, dass wir da weiter sind als vor einem Jahr.

Wollen Sie wieder vom Anpfiff weg so dominant auftreten wie gegen Schweden?

Der Wille besteht. Wir wollen Druck machen und uns Sicherheit holen. Nur glaube ich, dass sich Argentinien besser zu wehren weiß. Die Schweden haben gegen unser Spiel keine Lösungen gefunden. Die Argentinier werden dazu in der Lage sein. Die lösen sich mit drei, vier Ballstafetten, und plötzlich sind sie in einer freien Zone. Das können sie perfekt.

Wird es eine taktische Anpassung an das Spiel der Argentinier geben?

Wichtig wird sein, dass wir unsere taktischen Vorgaben mit aller Konsequenz durchziehen. Aber natürlich müssen wir uns auch auf die Argentinier einstellen.

Vor allem auf Riquelme?

Es wäre ein Fehler, sich nur auf Riquelme zu konzentrieren und zu versuchen, ihn aus dem Spiel zu nehmen. Die Argentinier haben noch andere Spieler, die genauso entscheidende Impulse setzen.

An wen denken Sie?

An Sorin zum Beispiel. Man fragt sich bei so einem Turnier ja immer: Welche neuen Entwicklungen gibt es? Für mich ist es eine wichtige Erkenntnis, dass starke, offensive Außenverteidiger enorm wichtig geworden sind im modernen Fußball. Argentinien hat auf diesen Positionen Leute, die das Offensivspiel mit prägen und permanent Überzahl schaffen. Sorin agiert defensiv ganz weit hinten, er bügelt auch mal einen Fehler aus. Er ist aber auch vorne am gegnerischen Fünfmeterraum zu finden oder kommt über die linke Seite.

Ist Argentinien die beste Mannschaft des Turniers?

Argentinien ist die Mannschaft, die bisher am überzeugendsten gespielt hat. Mit uns, finde ich. Argentinien spielt schneller als Brasilien. Die Brasilianer haben manchmal 30, 40 Ballkontakte hintereinander, ohne dass sie sich bewegen. Die Argentinier laufen viel, sie bereiten ihre Angriffe gut vor, auch wenn sie den Ball mal hintenrum spielen. Dann stoßen sie blitzartig in die Spitze vor, mit vier, fünf beweglichen Spielern. Das ist die Mannschaft, die das am besten beherrscht.

Wären die Deutschen mit einem Sieg gegen Argentinien zurück in der Weltspitze?

Das Ziel muss es sein, sich dauerhaft in der Weltspitze zu etablieren. Das geht nur, wenn schon in der Jugend entsprechend gearbeitet wird. Sonst gibt es Schwankungen, wie wir sie in den vergangenen Jahren erlebt haben: Vizeweltmeister 2002, Vorrundenaus bei der EM 2004. Wir müssen viele junge Spieler nachbringen, die wissen, wie in der Nationalmannschaft gespielt wird. In der Schweiz weiß jeder U-15-Spieler, was oben gefordert ist. Der kann die Grundprinzipien aufzählen, vor allem aber kann er sie auf dem Platz umsetzen. Die Argentinier haben hier ihre U 20 dabei. Das nenne ich Zukunftsplanung. Die Jungs haben die gleichen Trainingsinhalte wie die A-Mannschaft. Die Nummer 10 der U 20 schaut sich bei Riquelme ab, was auf dieser Position zu tun ist. Diese Jungs werden jetzt darauf vorbereitet, 2010 oder 2014 Weltmeister zu werden.

Bundestrainer Jürgen Klinsmann hat gesagt, ein Ausscheiden im Achtel- oder Viertelfinale sei eine Katastrophe. Gilt das auch für ein Aus gegen Argentinien?

Jürgens Aussage war noch mal ein Ansporn für die Mannschaft. Aber wir sind uns auch darüber im Klaren, dass wir gegen Argentinien ein gutes Spiel machen und trotzdem verlieren können. Das ist nun einmal so. Vielleicht entscheidet eine unglückliche Situation das Spiel. Trotzdem beschäftigen wir uns nicht mit diesem Szenario. Das würde nur eine negative Energie erzeugen. Wir beschäftigen uns ausschließlich damit: Wie können wir Argentinien schlagen?

Und wie?

Wir haben schon den einen oder anderen Ansatzpunkt. Aber es ist zu früh, darüber zu reden. Unser Chefscout Urs Siegenthaler hat die Argentinier intensiv beobachtet und ihr Spiel analysiert. Bei den Schweden hat er genau die Schwächen ausgemacht, an denen wir sie gepackt haben. Das haben wir zwei-, dreimal trainiert. Hätten wir vorher darüber gesprochen, hätten die Schweden wahrscheinlich gesagt: Okay, da müssen wir uns was ausdenken.

Die Fragen stellte Stefan Hermanns.

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