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Fabian Lustenberger, 26, spielt seit 2007 für Hertha BSC. Vor der vergangenen Saison beförderte ihn Trainer Jos Luhukay zum Mannschaftskapitän. Der Schweizer verpasste jedoch wegen einer Verletzung fast die komplette Rückrunde und die WM.

© imago/Contrast

Hertha-Kapitän Fabian Lustenberger: "Du musst kein Großmaul werden"

Fabian Lustenberger spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über seine Rolle als Kapitän von Hertha BSC, flache Hierarchien und Mittagessen im Team.

Herr Lustenberger, wie würden Sie Ihr Naturell beschreiben?

Gemeine Frage. So eine Selbstbeschreibung ist immer schwierig. Ich glaube, dass ich ein kommunikativer und offener Typ bin, wenn ich die Leute kenne. Sonst bin ich eher zurückhaltend. Wenn ich sie aber kenne und eine Beziehung habe, dann bin ich einer, der Wert darauf legt, dass es auch immer was zu lachen gibt.

Fällt es Ihnen schwer, Entscheidungen zu treffen?
Nein, das nicht. Vor allem auf dem Fußballplatz sollte das auch nicht sein. Da ist Handlungsschnelligkeit gefordert. Aber ich bin auch sonst nicht der Typ, bei dem es so lange dauert mit Entscheidungen.

Würden Sie sich als temperamentvoll bezeichnen?
Ich kann, muss es aber nicht sein. Hört sich vielleicht ausweichend an, ist aber so. Wenn es nötig ist oder ich das Gefühl habe, dass etwas nicht passt, dann kann ich dazwischenfahren. Ich nehme mal an, dass Sie auf meine Rolle als Kapitän anspielen. Dann sage ich Ihnen, dass ich schon versuche, alles irgendwie harmonisch zu lösen, mit Argumenten und Austausch.

Nun ist eine Fußballprofimannschaft eine sehr spezielle Gruppe. Wie viel Harmonie verträgt ein solches Gebilde aus Leistungsdruck, Konkurrenz und Öffentlichkeit?
Das ist doch sehr resultatabhängig. Wenn es gut läuft, herrscht weitgehend Harmonie. Zwischen Mannschaft und Fans, zwischen Mannschaft und Trainer und so weiter. Dann musst du nicht auf Teufel komm raus das nächste Spiel gewinnen. Wenn es nicht so läuft, wankt es gelegentlich. Für mich ist dann wichtig, dass man trotzdem die Harmonie behält und versucht, die Aufgaben oder Probleme gemeinsam zu bewältigen.

Hört sich wie im Film an. Sieht so die Realität unter Fußballern aus?
Das gehört auch zur Realität, wir betreiben einen Mannschaftssport. Die Gruppe zählt, nicht das Ego. Was aber nicht heißt, dass es im Training nicht auch mal richtig zur Sache geht, es nicht auch mal kracht und zwei Spieler nicht auch mal aneinandergeraten. Harmonie darf nie die Konfliktfähigkeit einer Mannschaft betäuben.

Sie haben sich das Kapitänsamt nicht ausgesucht. Sie haben sich durch Ihre Leistungen und Ihr Wesen so reingespielt. Was haben Sie über- und was unterschätzt?
Wenn es wie in der Hinrunde der vergangenen Saison sportlich gut läuft, ist es schlichtweg egal, wer Kapitän ist. Dann fällt auch nichts auf einen zurück. Da spielt der Rechtsverteidiger gut, da spielt der linke Flügel gut, und da spielt der Kapitän gut. Dann sind die Fans zufrieden, und selbst die Berichterstattung fällt entsprechend aus. Wenn es nicht so läuft, ist man als Kapitän – und das bitte ich richtig zu verstehen – schneller in der Kritik. Das ist kein großes Problem, aber das habe ich unterschätzt.

Sie fühlen sich ungerecht behandelt?
Nein, darum geht es mir nicht. Sondern darum, dass einem als Kapitän nicht die Zeit in der Beurteilung gelassen wird, die er vielleicht braucht nach einer langen Verletzung und die anderen gewährt wird. Von mir wurde nach einem siebenmonatigen Ausfall sofort Leistung verlangt. Wenn jemand anderes nach einem Kreuzbandriss oder so nach sechs oder sieben Monaten zurückkehrt, wird er nachsichtiger beurteilt. Das stört mich nicht mehr, aber das kam so unvermittelt auf mich zu, und dann habe ich mir eben meinen Teil gedacht.

Was haben Sie sich gedacht?
Ja, unfair ist das falsche Wort, es geht in unserem Sport nicht immer nur um Fairness. Aber es werden nicht gleiche Maßstäbe angelegt.

Vielleicht verknüpfte der eine oder andere Fan mit Ihnen einfach eine größere Hoffnung als bei anderen Rückkehrern?
Kann sein, das ist auch ihr gutes Recht. Ich habe mir auch mehr erhofft, nämlich dass ich möglichst schnell wieder reinkomme. Aber es ist nicht so einfach, wieder auf Topniveau zu kommen, wie man es sich wünscht oder denkt. Es war beileibe nicht alles perfekt bei mir in der Hinrunde, aber als ein Unsicherheitsfaktor, wie mich Teile der Medien sahen, habe ich mich nun auch nicht gefühlt. Aber egal, jetzt bin ich froh, dass ich die komplette Vorbereitung mitmachen und fit in die Rückrunde starten kann.

Wie sieht denn ein typisches Trainer-Kapitän-Verhältnis aus?
Ich brauche nicht jede Woche ein Feedback vom Trainer. Ich muss auch nicht jede Woche mit ihm gesondert eine halbe Stunde reden. Wenn was ansteht, reden wir. Mal auf dem Platz, mal im Trainerzimmer, wir finden ein Plätzchen. Das sind oft kurze, kleine Gespräche, die immer mal wieder stattfinden. Das regelt einfach der Bedarf.

Lässt der Trainer Sie teilhaben an seinen Plänen, fordert er Ihre Meinung zu taktischen und personellen Entscheidungen ein?
Sowohl als auch. Grundsätzlich ist der Trainer der letzte Entscheidungsträger, der ja auch – übertrieben ausgedrückt – den Kopf hinhalten muss. Aber der Trainer nimmt sich auch andere zur Seite und fordert Meinung und Reflexion ein.

Anders gefragt: Halten Sie das Amt des Kapitäns für überhöht?

Ja und nein. Führung ist schon nötig, aber das Wie ist entscheidend. Wir leben heute nicht mehr im Früher, wo Kapitäne noch über allem standen. Nehmen Sie die deutsche Nationalmannschaft, wo die Hierarchien flacher und dadurch moderner und lebensnäher geworden sind. Dort verteilt sich Führung auf mehrere Schultern. Früher führte Michael Ballack von oben, allein. Heute lenken vier, fünf Spieler. Außerdem würde mir schon vom Auftreten her die Präsenz eines Ballack oder eines Stefan Effenberg fehlen. Ich bin keiner, der, um ein Zeichen setzen zu wollen, einen mal weghaut auf dem Platz und dröhnt. Bei uns im Team haben wir auch mehrere, die Verantwortung übernehmen oder das Wort ergreifen.

Sie meinen Spieler des Mannschaftsrats?
Wir haben gar keinen offiziellen Mannschaftsrat. Aber wenn Gespräche stattfinden, dann ist klar, dass John Heitinga dabei ist und Thomas Kraft und Peter Niemeyer, mein Vorgänger als Kapitän. Auch Marcel Ndjeng und Sandro Wagner sind schon länger dabei und haben Erfahrung.

Was sind denn die Themen, mit denen Sie auf den Trainer zugehen?
Meist sind es Kleinigkeiten. Wenn wir beispielsweise ein Auswärtsspiel haben und als Team gern noch ein gemeinsames Mittagessen hätten, bevor es zum Flughafen geht. Das muss der Trainer absegnen. Oder wenn ein Training um 15 Uhr ansteht, in der Mannnschaft aber der Wunsch besteht, es vielleicht um eine Stunde vorzuverlegen. Das kläre ich dann gern ab. Viel Organisatorisches eben.

Was von Ihrem Naturell hilft Ihnen dabei, das Amt auszufüllen, und was davon steht Ihnen im Weg?

Gute Frage! Also im Weg stehen, nein, da fiele mir jetzt nichts Konkretes ein. Was mir hilft, ist, dass ich bin, wie ich bin. Ich habe mich nicht geändert, nur weil ich jetzt am Wochenende die Kapitänsbinde trage oder vielleicht etwas mehr in der Öffentlichkeit stehe. Ich bin authentisch. Ich versuche das Beste rauszuholen, an erster Stelle aus mir, um so auch der Mannschaft helfen zu können. Als Kapitän musst du dir treu bleiben und nicht zum Großmaul werden. Ich bringe mich so gut ein, wie es eben geht. Mit meiner Art und meinem Spiel.

Und wo sind Sie am wertvollsten für die Mannschaft? In der Innenverteidigung, oder doch im zentralen Mittelfeld?
Letztlich stellt doch der Trainer so auf, wie er es für das Beste für die Mannschaft hält. Wenn er mich im defensiven Mittelfeld braucht, bin ich dazu gern bereit. Und wenn er denkt, dass ich wertvoller als Innenverteidiger bin, spiele ich halt dort.

Sie weichen aus. Bringt Sie das Amt etwa in den Konflikt, sich bedingungslos in den Dienst der Mannschaft zu stellen oder auf Ihren Anspruch als Kapitän zu pochen, dort zu spielen, wo Sie möchten?
Oh nein, ich brauche nicht die Macht, um zu sagen, ich spiele jetzt doch mal besser dort. Ich verstehe mich als Helfer für die Mannschaft, ob mit oder ohne Binde.

Aber sagen Sie dem Trainer nicht, wo Sie spielen wollen?
Wenn ein solches Gespräch stattfindet und er mich fragt, aber ja. Ich kann ja auch beides. Ich habe zweieinhalb Jahre als Innenverteidiger gespielt, davor vier Jahre auf der Sechs.

Was sagt Ihnen Ihr Gefühl?
(lacht) Das ist für mich schwierig. Für das erste Spiel ist Hajime Hosogai gesperrt, da werde ich wahrscheinlich eins hochrücken und im Mittelfeld spielen. Und dann lass ich mich mal überraschen.

Aber die Mannschaft braucht jetzt keine Überraschungen.
Richtig, wir brauchen Sicherheiten und Konstanz. Aber auf mich bezogen wäre es keine große Umstellung, ob ich nun hier oder dort spiele. Der Kapitän in mir ist da ganz gelassen.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt

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