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Sport: Ein besonderes Gewürz

Deutsch-Türken in Istanbul haben zwei Heimaten – und beim Fußball gemischte Gefühle

Die Sonne geht gerade hinter dem Goldenen Horn unter, von der Terrasse des Restaurants im Stadtteil Beyoglu hat man einen Weitblick über das nicht enden wollende Häusermeer Istanbuls. Berlin scheint weit weg, doch an den Tischen wird deutsch gesprochen. An diesem Abend im September trifft sich der Stammtisch der Istanbuler Deutsch-Türken mit der Forschungsgruppe einer deutschen Universität. Doch auch Fußball – das Länderspiel zwischen Deutschland und der Türkei – ist ein Thema.

Für Arda Sürel, 40 Jahre alt, Doktor der Ökonomie, ist die Sache klar. „Ob wir gegen Deutschland, Frankreich oder Italien spielen, ist mir persönlich egal“, sagt Sürel, der im Ruhrgebiet aufgewachsen ist und seit sieben Jahren in Istanbul lebt. „Es ist einfach das wichtigste Spiel der Qualifikation.“ Seine persönliche Beziehung zu beiden Ländern sei allenfalls „ein Gewürz, das dazukommt“. Für den Unternehmensberater war schon immer klar, dass er zurück in die Türkei ziehen wollte – genauso wie die Frage, welchem Fußball-Nationalmannteam seine Sympathie gilt: „Ich bin für die türkische Nationalmannschaft, daran bestand auch nie der geringste Zweifel.“ Als Kind war er Fan des FC Bayern, auch Galatasaray Istanbul begeisterte ihn. Heute interessiert ihn Vereinsfußball wenig – das Länderspiel am Freitag in Berlin umso mehr. Von Zerrissenheit ist bei Sürel nichts zu spüren. „Wenn ein Türke sagt, er ist sowohl für Deutschland als auch für die Türkei, dann ist das eine glatte Lüge“, sagt er und schüttelt den Kopf. „Ich glaube da kein Wort.“

Melih Kabakci sieht das ein bisschen anders. Auch der 39-Jährige ist in Deutschland aufgewachsen und hat dort studiert, mittlerweile wohnt der Handelsunternehmer in Istanbul. Während seiner Jugend in Heidenheim an der Brenz teilten sich die Kinder auf dem Bolzplatz automatisch in zwei Mannschaften ein: Die Deutschen spielten gegen die Türken, griechische und italienische Kinder wurden einfach der Türkei zugeordnet. „Das lief ganz friedlich ab“, erzählt Kabakci. Er hat „doppelte Gefühle“, wenn er an das Länderspiel denkt. „Deutschland ist meine Heimat, genau wie die Türkei.“ Er kann nachvollziehen, wie schwer es für Spieler wie Nuri Sahin oder Mesut Özil war, sich für ein Nationalteam zu entscheiden: „Das muss bei jedem eine persönliche und professionelle Entscheidung sein.“

Dass Mesut Özil bei der WM in Südafrika das Trikot mit dem Bundesadler trug und ein überragendes Turnier spielte, wurde laut Arda Sürel nicht als Drama in der Türkei empfunden. „Özil war ein Thema unter 100 hier, genau wie Eren Derdiyok, der sich für die Schweiz entschieden hat“, sagt Sürel. Mit Tränen sei Özils Entscheidung pro Deutschland nicht begleitet worden – „eher mit Stolz: Einer von uns hat den Deutschen gegen Ghana den Arsch gerettet“. Ein bisschen hat sich aber auch Sürel bei der WM für das deutsche Team freuen können, allerdings nicht aus alter Verbundenheit: „Ich fand es gut, dass die Deutschen keinen Rummenigge-Fußball gespielt haben wie in der achtziger Jahren. Aber ich hätte auch Argentinien anfeuern können.“ Das Spiel am Freitag will sich Arda Sürel in der eigenen Wohnung anschauen – und nicht etwa in einem der zahllosen Restaurants in den Seitenstraßen der Einkaufsmeile Istiklal Caddesi, in denen bei Sportereignissen überall die Fernseher aufgedreht werden. „Auf der Straße kann es unangenehm werden“, sagt Sürel. „Die Leute spinnen hier, vor allem Fußballfans.“

Melih Kabakci glaubt, dass das Spiel durch Thilo Sarrazins Buch und den deutschen Streit um Integration auch eine „politische Sphäre“ bekommen hat: „Die Leute würden sich jetzt umso mehr freuen, wenn die Türkei gewinnt.“ Für ihn überwiegt aber der Spaß am Fußball. „Das ist das beste Spiel, was man erleben kann“, sagt er und fügt hinzu: „Die Welt wird immer kleiner, vielleicht gibt es das Thema für unsere Enkel gar nicht mehr.“

Wie sich Deutschlands türkische Gemeinde auf das Spiel vorbereitet: Seite 13

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