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Lange Sitzung. In einem Hotel traf sich Lance Armstrong mit der US-amerikanischen Talkshow-Gastgeberin Oprah Winfrey zur Aufzeichnung ihrer Sendung. Der gefallene Radstar soll ihr dabei Einblicke in seine Dopingvergangenheit gegeben haben. Foto: AFP

© AFP

Sport: Ein Cowboy im Beichtstuhl

Das Doping-Geständnis von Armstrong wird mit Spannung erwartet. Erhält der Radstar die Absolution der US-Fernsehgemeinde?

Berlin - Noch immer hat Lance Armstrong Fans. Ein knappes Dutzend dieser zahlenmäßig immer kleiner werdenden Spezies umringte den ehemaligen Tour-de-France-Sieger kurz vor seiner mutmaßlichen Dopingbeichte bei Oprah Winfrey. Danach nahm er allein auf dem Stuhl gegenüber der Fernseh-Talkerin Platz. Die befand sich auf neutralem Terrain, in einem Hotel in Austin. Ursprünglich hatte das Gespräch in Armstrongs Villa stattfinden sollen. Doch das Anwesen im spanischen Kolonialstil war derart von Journalisten und Neugierigen belagert, dass die Fernsehcrew einen Ausweichort bevorzugte. Völlige Geheimhaltung war damit aber auch nicht zu erreichen. Schnell machte die Runde, dass der Texaner zugegeben habe, für seine sieben Tour-de- France-Siege gedopt zu haben.

„Ich hoffe, sie nimmt mich hart ran“, hatte Lance Armstrong noch vor der Aufzeichnung des Gesprächs dem „Wall Street Journal“ gesagt und laut Nachrichtenagentur AP versprochen, „direkt, offen und ehrlich“ auf alle Fragen einzugehen. Winfrey hatte sich zuvor Recherchebeistand bei David Walsh geholt. Der Journalist und Armstrong-Biograf, unter den Kritikern der wohl beste Kenner des Texaners, hatte einen Leitfaden von zehn Fragen vorgeschlagen. Fragen zu der Anamnese vor Armstrongs Krebsoperation im Oktober 1997, bei der er Augenzeugen zufolge bereits Doping zugegeben hatte. Fragen zu der Motivation, nach dem überstandenen Krebsleiden zu dopen. Fragen zu der Art der Zusammenarbeit mit dem bereits verurteilten Dopingarzt Michele Ferrari und zu der Absicht, die Preisgelder von 1998 bis 2010 zurückzuzahlen und sich bei einigen seiner ehemaligen Kollegen zu entschuldigen.

Winfrey twitterte Montagnacht: „Fertig mit Armstrong. Zweieinhalb Stunden. Er kam vorbereitet.“ Ursprünglich waren 90 Minuten Sendezeit vorgesehen, doch nun soll das lange erwartete Interview auf zwei Abende verteilt ausgestrahlt werden. In den USA werde zum geplanten Sendetermin am Donnerstag noch der Freitagabend (Ortszeit) hinzukommen. In Deutschland wird Teil eins Freitagnacht um 3 Uhr auch im Discovery Channel bei Sky zu sehen sein.

Erfüllt das Interview die Erwartungen, dann ist, wenn nicht von einem Saulus-Paulus-Ereignis, so doch zumindest von einem radikalen Bruch auszugehen. Denn bisher stritt Armstrong Doping vehement ab. Frühere Beichtgelegenheiten schlug er reihenweise aus, die jüngste im Dezember 2012. Bei einem Treffen zwischen Armstrong und seinem Ankläger Travis Tygart von der US-Anti-Doping-Agentur Usada soll Armstrong nach Berichten des „Wall Street Journals“ wütend den Raum verlassen haben, als ihm Tygart im Falle einer Komplettbeichte allenfalls eine Reduzierung der lebenslänglichen Sperre auf acht Jahre anbot. Dann werde er eben bei nicht-offiziellen Rennen starten, soll Armstrong getönt haben.

Die Lust auf Rennen und vor allem die Verdienstmöglichkeiten bei professionellen Triathlon-Veranstaltungen dürften Armstrongs Treibstoff für das Treffen mit Tygart wie auch das Fernsehinterview sein. Am Dienstag erklärte der Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur David Howman, dass die lebenslange Sperre nur überprüft werden könne, wenn Armstrong unter Eid alles gestehe. Einen Straferlass kann Winfrey dem gefallenen Radstar zwar nicht gewähren. Aber eine Absolution vor der amerikanischen Fernsehgemeinde ist drin. Gleiches hatte eine in Tränen aufgelöste Marion Jones vor fünf Jahren erreicht. Die frühere US-Sprinterin hatte dank eines Designerdopingmittels des berüchtigten Balco-Labors unter anderem drei Olympiasiege in Sydney 2000 errungen und war später wegen Meineids zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Auf Oprahs Couch konnte sie sich als arme Sünderin inszenieren.

Dem harten Radsport-Cowboy Armstrong sollte dies schwerer fallen. Anders als Jones stand Armstrong laut Vorwurf der Usada als Strippenzieher und Organisator im Mittelpunkt des Dopingsystems bei US Postal und den Folgeteams. Er nahm auch, dies legen von der Usada zusammengetragene Beweismittel nahe, aktiv Einfluss auf eine Vertuschung von positiven Dopingproben seitens des Weltradsportverbands UCI. Das ist eine höhere Stufe des Betrugs. Mit ein paar Reuebekenntnissen wird er kaum davonkommen. Was Armstrongs Interview für den Radsport selbst bedeutet, ist ungewiss. Ein Geständnis dürfte zumindest die Position von Johan Bruyneel erschweren. Armstrongs früherer Mentor und Teamchef befindet sich noch im Rechtsstreit mit der Usada. Die Steigbügelhalter unter der Funktionärsgarde, wie die UCI-Granden Pat McQuaid und Hein Verbruggen, kommen erst unter Druck, wenn er auch diese Absprachen offenlegt. Zumindest zur UCI hätte er sich geäußert, schrieb die „New York Times“.

Möglicherweise will Armstrong mit einem Teilgeständnis seinem Ex-Kumpel und Intimfeind Floyd Landis eins auswischen. Der darf, wenn es zu einer Annahme seiner Anzeige wegen Dopings auf Steuerkosten bei US Postal kommt, nach US-Recht auf einen beträchtlichen Anteil der Schadenssumme von zirka 30 Millionen Dollar hoffen. Am Donnerstag läuft die Frist für das Justizministerium aus, sich an die Seite von Landis zu stellen oder das Verfahren zu beerdigen. Der größte Clou wäre, wenn Armstrong sich nun zu Landis gesellt und selbst zum Informanten gegen seinen alten Rennstall wird. Das Geld daraus kann er sicher brauchen. Mindestens zwei Schadensersatzklagen sind anhängig, und der Radsportverband UCI will alle Preisgelder zurück. Die Beichte könnte also ein Ablasshandel sein.

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