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Sport: Ein erster Schritt zurück

Nicolas Kiefer gibt nach einjähriger Verletzungspause sein Comeback – er ist gelassener geworden

Auf den ersten Blick scheint die Szene ganz alltäglich. Ein paar Tennisspieler verteilen sich auf den abgeschiedenen Rasenplätzen neben dem Gerry-Weber-Stadion. Unter ihnen ist auch Nicolas Kiefer. Doch für ihn ist das, was in den vergangenen zehn Jahren sein Leben bestimmt hat, längst keine Routine mehr. Seit einem Jahr konnte der 29-Jährige kein Match mehr bestreiten, eine Handgelenksverletzung zwang ihn zur Pause. Immer wieder musste er seine Rückkehr verschieben, in Halle/Westfalen hofft er diese Woche nun auf ein Ende des Leidensweges. Es soll ein erster Schritt zurück in sein altes Leben werden: „Ich bin ziemlich nervös. Ich weiß nicht, wo ich nach der langen Auszeit stehe.“

Mit dem weißen Band, das er sich um die Stirn gebunden hat, erinnert er eher an einen Samurai-Kämpfer, doch es passt irgendwie zu ihm. Denn verbissen um jeden Punkt gekämpft hat er auf dem Platz in den letzten Jahren immer, wobei seine emotionalen Ausbrüche mitunter die Grenzen des Erlaubten überschritten. 2006 schien er bereit, noch einmal die Top Ten anzugreifen, nachdem er bei den Australian Open das Halbfinale erreicht hatte. Doch ausgerechnet dann wurde er ausgebremst. Bei den French Open stürzte er gegen den Franzosen Marc Gicquel so unglücklich, dass er im folgenden Match aufgeben musste. Monatelang musste er abseits des Courts kämpfen: um seine Karriere, seine Träume als Sportler, „um alles“, wie er selbst sagt.

Auf dem Trainingsplatz direkt neben Kiefer verschlägt Philipp Kohlschreiber gerade eine Vorhand und flucht. Kiefer schaut kurz zu ihm herüber und grinst. Er mag sich an sich selbst erinnert gefühlt haben, doch er ist ruhiger geworden. Dreimal in Folge schießt seine Vorhand über die Grundlinie hinaus, früher hätte Kiefer schon mal seinen Schläger geworfen. Jetzt nimmt er die Fehler ruhig hin und platziert den nächsten Ball im Feld. „Ich bin viel gelassener geworden. Vielleicht auch erwachsener. Sich über Dinge aufzuregen, die ich nicht ändern kann, bringt nichts“, sagt Kiefer, der auch durch die Arbeit mit seiner Stiftung „Aktion Kindertraum“ viel gelernt hat. „Eigentlich wollte ich ja den Kindern helfen, aber sie haben mir viel mehr geholfen. Manche von ihnen haben noch ein oder zwei Jahre zu leben. Dagegen ist meine Verletzung doch nichts. Es war wichtig für mich, das zu spüren.“

Dennoch gab es immer wieder Phasen, in denen es Kiefer schwer fiel, die positive Einstellung zu bewahren. Zwei Operationen des linken Handgelenks waren nötig, immer wieder folgten Rückschläge, die Schmerzen wurden ein ständiger Begleiter. Doch an ein vorzeitiges Karriereende mochte Kiefer nie denken: „Ich fühle mich noch jung genug, um wieder anzugreifen. Ich will es versuchen, obwohl ich nicht erwarten kann, dass ich gleich Bäume ausreiße.“

Der Schritt zurück in die Zukunft ist ein ungewisser. Auch wenn Kritiker ihm, ebenso wie Thomas Haas, vorwerfen, aus ihrem Talent zu wenig gemacht zu haben, so zeigten doch die letzten großen Turniere ohne sie, dass zur nachfolgenden Generation noch eine Lücke klafft. Ein Spieler wie Kiefer, der gereift ist, sich aber dennoch auf dem Platz zerreißt, Emotionen zeigt und polarisiert, kann für das deutsche Tennis nur positiv sein. Besonders emotional wird für ihn der erste Auftritt in Halle werden, wo er 1999 gewinnen konnte. Dass er dabei nun gleich gegen den starken Tschechen Tomas Berdych antreten muss, sei ihm egal. Es zählen die kleinen Dinge: „Wenn mir endlich wieder ein Ballkind den Ball zuwirft oder der Schiri 15:0 oder von mir aus auch Fußfehler sagt, mein Name wieder an der Anzeigetafel steht, dann ist das wie ein Sieg für mich.“ Petra Philippsen

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