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Tomislav Piplica spielte von 1998 bis 2009 für den FC Energie Cottbus. Seit 2009 ist er Torwarttrainer der bosnischen Fußball-Nationalmannschaft.

© Imago

Bosnien vor WM-Qualifikation: Ein Licht für ein Land

Es wäre ein historischer Erfolg: Bosniens Fußballer könnten erstmals zu einer WM fahren. Tomislav Piplica, ehemaliger Torwart von Energie Cottbus und aktueller Torwarttrainer der Nationalelf, erzählt von den Erwartungen in der Heimat.

Der Charterflug ist schon gebucht, erzählt Tomislav Piplica. „Damit wir direkt von Kaunas nach Sarajevo fliegen können, um mit unseren Leuten zu feiern. Alle haben sehr lange auf so etwas gewartet.“ Piplica ist Torwarttrainer der Fußball-Nationalmannschaft von Bosnien und Herzegowina. Und deren Chance war noch nie so groß: die Chance, endlich einmal bei einem großen Turnier dabei zu sein. Schon am Freitag beim Heimspiel gegen Liechtenstein in Zenica kann Bosnien sich qualifizieren. Vier Tage später steht das letzte Gruppenspiel im litauischen Kaunas an. „Die Stimmung ist gut. Jeder im Team weiß, was von uns erwartet wird“, sagt Piplica. „Wir wollen jetzt noch sechs Punkte holen. Dann sind wir reif für die WM.“

In den vergangenen Jahren hat sich Bosniens Nationalmannschaft, die erst vor 20 Jahren ihr Länderspieldebüt gab, stetig gesteigert. Und doch war die jüngere Geschichte der „Goldenen Lilien“, wie das Team genannt wird, vor allem eine des tragischen Scheiterns: Die Teilnahme an der EM 2004 und der WM 2006 verspielten sie jeweils am letzten Spieltag. In der Qualifikation zur WM 2010 und EM 2012 schafften sie es bis in die Play-offs. Dort schieden sie jedoch beide Male unglücklich gegen Portugal aus.

Nun steht Bosnien nach acht Spielen mit 19 Punkten an der Tabellenspitze der Gruppe G. Verfolger Griechenland hat ebenfalls 19 Zähler, doch die Bosnier haben das bessere Torverhältnis: In acht Spielen schossen Toptorschütze Edin Džeko und Co. bisher 25 Tore, bekamen aber nur fünf Gegentreffer. Das Ziel ist nah, sagt Piplica: „Es wäre wie ein Licht für uns alle, für das ganze Land.“

Für sein Heimatland hat der ehemalige Bundesliga-Torwart von Energie Cottbus zwischen 2001 und 2009 neun Länderspiele bestritten. Seit vier Jahren trainiert er die Nationaltorhüter Bosnien und Herzegowinas. Als Safet Sušić 2009 Nationaltrainer wurde, hat er den gesamten Trainerstab ausgetauscht – und Piplica zum Torwarttrainer gemacht.

Eines hat er den Nationalspielern von heute auf jeden Fall voraus. Er weiß, was es heißt, Weltmeister zu sein: 26 Jahre ist es her, als 18 junge Fußballer aus Jugoslawien zur U-20-Weltmeisterschaft nach Chile flogen – und Weltmeister wurden. Doch dann kam der Bürgerkrieg der „Goldenen Generation“ dazwischen. Ihr Land zerfiel; und die Talente von damals, wie Davor Šuker oder Predrag Mijatović, spielten fortan für Kroatien oder Serbien-Montenegro. Piplica war damals dabei, zwar nur als Ersatztorwart ohne Einsatz, „aber das vergisst man nicht, wenn man so etwas nur ein einziges Mal im Leben erlebt“.

Piplica stammt aus dem zentralbosnischen Bugojno. Die Stadt liegt in der heutigen bosniakisch-kroatischen Föderation – neben der serbisch dominierten Republika Srpska einer von zwei Teilstaaten, aus denen sich Bosnien und Herzegowina seit dem Friedensabkommen von Dayton zusammensetzt. Kein anderes Land im ehemaligen Jugoslawien wurde stärker vom Bürgerkrieg getroffen. „Wir hatten ein schönes freies Land damals, einen modernen Kommunismus“, sagt Piplica. „Keiner hätte gedacht, dass diese Mischung aus Kroaten, Serben und Bosniern kaputt gehen könnte.“ Mit Dayton endete 1995 zwar der Bürgerkrieg, doch die geschaffenen politischen Strukturen sind schwerfällig. Oft ist das aus jeweils einem Vertreter der bosniakischen, serbischen und kroatischen Volksgruppe zusammengesetzte Staatspräsidium heillos zerstritten. Der Gesamtstaat ist schwach. Noch immer wacht die UN über die Einhaltung des Dayton-Abkommens, das eigentlich nie als Dauerlösung geplant war. Das Land leidet unter hoher Arbeitslosigkeit und Korruption. Zudem gibt es noch immer keine sicheren Zahlen über die genaue Bevölkerung in Bosnien und Herzegowina. Anfang Oktober startete daher eine Volkszählung – die erste seit 1991. Schätzungen zufolge liegt Bosniens Einwohnerzahl mit viereinhalb Millionen nur knapp über der von Berlin. „So ist das Leben“, sagt Piplica.

Der Erfolg der Nationalmannschaft gibt derweil Hoffnung und mobilisiert die Fans: Piplica erinnert sich an den 2:1-Sieg in der Slowakei im September. „Ich glaube, da waren 8000 bosnische Fans, die uns angefeuert haben“, sagt er und fügt grinsend hinzu: „Es war, als hätten wir zu Hause gespielt.“ Da stört es ihn auch nicht, dass die Republika Srpska demnächst mit einer eigenen Auswahl Freundschaftsspiele ausrichtet. „Jeder soll seine Traditionen pflegen. Unser Verband hat grünes Licht gegeben.“

Wie es sein würde, wenn Bosniens Fußballer am Dienstag in Sarajevo als WM-Teilnehmer landen sollten, kann sich Tomislav Piplica schon vorstellen: „Dann wird nicht nur ganz Sarajevo auf den Beinen sein, sondern ganz Bosnien“, sagt er. „Auch in Ex-Jugoslawien werden viele mit uns feiern. Wir haben überall Freunde.“

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