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Trubel, aber selten Jubel. Auf der Fanmeile von Kiew hatten die Menschen nicht immer ihren Spaß. Foto: dpa

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Sport: Ein Lob der ukrainischen Fanmeile

Als Andi Brehme 1990 Deutschland zum WM-Titel schoss, wusste ich nicht, wohin mit mir. Ich war 13 Jahre alt und saß auf einem braunen Cord-Sofa, neben mir mein Opa und mein Vater.

Als Andi Brehme 1990 Deutschland zum WM-Titel schoss, wusste ich nicht, wohin mit mir. Ich war 13 Jahre alt und saß auf einem braunen Cord-Sofa, neben mir mein Opa und mein Vater. Sie nickten, ich klatschte. Dann lief ich einfach auf den Balkon. Dort rief ich: „Jaaaaaa!“ Ich erhielt keine Antwort. Die Nachbarn hatten ihre Fenster geschlossen.

16 Jahre später war alles anders. Deutschland hieß nun „Schland“ und Fußballgucken „Public Viewing“, man traf sich neuerdings auf „Fanmeilen“. Und die gibt es nun bei jedem großen Turnier. Ich stelle mir das so vor: Ein Fanmeilenchef blättert in einem riesigen Uefa-Fanmeilen-Katalog, aus dem er bestimmte Module auswählt. Dieses Mal lautete die Ansage offensichtlich: Ein bisschen mehr Ost-Flair, bitte! In Charkiw haben sie die Fanzone auf einem der größten Plätze Europas aufgebaut, auf dem Ploshcha Svobody, vor dem Lenin-Denkmal. Die Lemberger Fanzone befindet sich auf der Freiheitsallee inmitten der Altstadt. Die Fußballanhänger sitzen hier am Denkmal des Dichters Taras Schewtschenko. Es sieht überall ein wenig so aus, als habe man die Originalleinwand eines alten Meisters neben ein Didlmausposter gehängt.

Es war, wie ich erwartet hatte: Fans mit seltsamen Hüten, Fans auf Trampolins, Fans an Bierständen, Fans in Großraumdiskostimmung. Und ja, auch Fans, die sich fragten, warum Lionel Messi keine Einsätze bei den Spaniern bekommt.

Was ich nicht erwartet hatte: Es machte mir nichts aus. Auf der Kiewer Fanzone erinnerte ich mich an eine Begegnung, die ich im April in Charkiw hatte. Ich saß damals mit einem ukrainischen Freund in einer ziemlich verlassenen Kneipe. Ein Mann lehnte an der Theke und musterte mich minutenlang. Mein ukrainischer Freund sagte: „Kümmere dich nicht um ihn, viele Leute hier haben noch nie Ausländer gesehen. Er denkt, du bist ein Alien.“

Nun treffen die Ukrainer auf der Fanmeile Ganzkörper-Kondom-Aliens aus Schweden, auf Irokesen-Frankreich-Aliens oder auf Jogi-Löw-Masken tragende Deutschland-Aliens. Man könnte natürlich schade finden, dass so eine Gemeinschaft nur in diesem konstruierten Rahmen zustande kommt. Man kann das für den Moment aber auch schlichtweg ganz in Ordnung finden. Harmlose Aliens aus ganz Europa feiern gemeinsam. Mittendrin die Ukrainer, ein freundlicher Gastgeber. Sie singen „U-KRA-JI-NA!“. Zu jeder Tageszeit, in jeder Ecke.

Ich habe zumindest hier meinen Frieden damit gemacht: Rudelgucken, Public Viewing, Fanmeilen, Remmidemmi. Doch ich hoffe inständig, dass mich irgendjemand aufhält, wenn ich gedenke, auf ein Konzert von Jürgen Drews zu gehen. Andreas Bock

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