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Sport: Ein Meister geht unter

Cannstatts Wasserballer schlugen Rekordchampion Spandau – und geben auf

Typisch Wasserball: Eine Szene aus dem Halbfinalrückspiel um die deutsche Meisterschaft zwischen SV Cannstatt und ASC Duisburg. Dieter Junger, Präsident des späteren Meisters Cannstatt, steht im Untertürkheimer Inselbad hinter einem aus einer Holzbank bestehenden Provisorium – zapft Bier und verteilt die gefüllten Becher an die durstigen Zuschauer. Ist eine solche Szene in der Fußball-Bundesliga vorstellbar? Oder in den oberen Spielklassen beim Basketball, Eishockey oder Handball? Wohl kaum.

Im Wasserball, einer Sportart, in der die Deutschen aufgrund vergangener Erfolge international durchaus angesehen sind und mit den Profimannschaften aus Spanien, Italien oder Ungarn immer noch leidlich mithalten können, ist dies der normale Alltagswahnsinn. Denn wenn der Präsident nicht persönlich hinter dem Tresen seinen Mann gestanden hätte, wäre sein Klub schon lange nicht mehr in der Bundesliga. In Cannstatt zählt jeder Cent, der Saisonetat setzte sich bis zuletzt nicht aus Sponsorenerträgen zusammen, sondern aus Mitgliedsbeiträgen und kleineren Spenden. Am Ende hat es nicht mehr gereicht: Die Canstatter Wasserballer geben auf – als Deutscher Meister.

Es ist nicht das eigentliche Wunder, dass der SV Cannstatt in diesem Jahr dem Rekordchampion Wasserfreunde Spandau 04 erstmals seit 1993 den Titel weggeschnappt hat. Das Wunder ist vielmehr, dass Cannstatts routinierte Nationalspieler wie Steffen Dierolf oder Heiko Nossek das bizarre Treiben jahrelang klaglos mitgemacht haben. Mehr noch: Dierolf, Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, widerstand Jahr für Jahr den finanziellen Verlockungen der finanziell etwas besser gestellten Berliner, weil ihm die sportliche Entwicklung seines Klubs stets wichtiger erschien als das Geld. Ein Ziel trieb den 30-Jährigen stetig an: „Wenn man mit einem anderen Klub als mit Spandau Meister wird, spricht man davon auch noch in fünfzehn Jahren“, sagte Dierolf immer wieder tapfer. Und er verlor den Glauben daran nie – auch wenn die Niederlagen gegen Spandau noch so demütigend ausfielen.

Doch wie sollte der große Traum je wahr werden? Ohne Geld, ohne Sponsor, ohne Infrastruktur. In der abgelaufenen Saison mussten die Cannstatter ein Vierteljahr mitten in der Bundesliga-Runde auf ihr einziges 50-Meter-Becken verzichten, weil die Stadt das Bad wegen Wartungsarbeiten geschlossen hatte. Die Wasserballer mussten aus diesem Grund in ihr vereinseigenes Bad ausweichen, das lediglich 25 Meter misst und vier Meter breit ist. „Eine Katastrophe“, klagte Trainer Andras Feher und suchte den Vergleich zum Tennis. Das wäre in etwa so, sagte er, wenn der Tennisspieler Roger Federer drei Monate lange nur auf dem halben Feld seine Übungseinheiten absolvieren müsste. „An mannschaftstaktisches Training war in dieser Zeit nicht zu denken“, sagte der 52-jährige Trainer.

Der frühere ungarische Nationalspieler Feher hat in den zwei Jahren seines Wirkens den amateurhaften Bedingungen getrotzt und es geschafft, mit professionellen Trainingsmethoden und mindestens zwei Trainingseinheiten am Tag aus besseren Feierabendsportlern neben Dierolf und Nossek fünf weitere Nationalspieler zu formen. „Früher sind die meisten gekommen, wann sie Lust hatten“, sagt Feher über seine Anfangszeit. Es hat ja meistens gereicht – zu einem Platz knapp hinter Spandau. Doch bei Feher wie auch bei Dierolf führte eine Finalteilnahme noch längst nicht zur Zufriedenheit. Sie wollten mehr, sie wollten Deutscher Wasserball-Meister werden. Das hat ja dann schließlich auch geklappt, sogar schneller als erwartet. Zwar noch immer ohne Geld, ohne Sponsor, ohne Infrastruktur, aber dafür jetzt mit sehr viel Mut. „Wir stehen mit unserer jungen und entwicklungsfähigen Mannschaft vor einer neuen Ära“, sagte der in der Ausschmückung von Gefühlen ansonsten eher sparsame Andras Feher nach dem Titelgewinn. Eine neue Ära, das klang nach Pathos – aber man musste diesen Mann verstehen, der für den Wasserball lebt, diesen Sport liebt und atmet.

Und in jenen Tagen machte es auch kurzzeitig wirklich den Anschein, als solle sich die Meisterschaft nun endlich auch finanziell auszahlen. „Ich bin mit einem Hauptsponsor kurz vor dem Abschluss, der uns rund 150 000 Euro pro Saison zahlen möchte“, frohlockte Dieter Junger nach dem Sieg über Spandau. Jahrelang hatte der Präsident vergeblich dafür gekämpft, einen Geldgeber zu finden, der ähnliche sechsstellige Beträge zahlt, wie das bei den Spandauern der Fall ist.

Dabei ist Stuttgart, nicht Berlin eine der wirtschaftlich stärksten Regionen Europas. „Hier zählt allerdings nur der Fußball, der VfB“, stellte Junger immer wieder fest. Über 2000 Unternehmen hatte der Klub angeschrieben und um Mithilfe gebeten. Die Resonanz? Lediglich drei haben sich überhaupt gemeldet, wobei ein Versicherungsmakler darunter war, der laut Junger nur den Profit witterte, sowie ein Hotelier, der die Gäste der Gegner unterbringen wollte, und dann noch eine Bäckerei.

Doch nach dem Titelgewinn sollte alles anders werden, alles besser, versteht sich. Doch was tatsächlich passierte? Alles wurde noch viel schlimmer. Nachdem der Energieversorger EnBW seine angeblich feste Zusage wieder rückgängig gemacht hatte, zog Dieter Junger die Konsequenz und kündigte den Rückzug des SV Cannstatt aus der Bundesliga an – drei Wochen nach dem größten Triumph in der Vereinsgeschichte.

Matthias A. Schmid[Stuttgart]

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