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Dieter Hecking ist der King von Wolfsburg.

© Reuters

Der VfL Wolfsburg nach dem Sieg im DFB-Pokal: Ein neuer Gigant wächst heran

Der DFB-Pokalsieg des VfL Wolfsburg hat viel mit Dieter Hecking zu tun. Dabei gab es anfangs Zweifel an den Fähigkeiten des Trainers. Doch die sind spätestens nach dieser Saison zerstreut.

Dann ist da noch die Sache mit der Kappe. Dieter Hecking trägt sie am Abend seines Triumphes wie eine Krone, deswegen steht ja auch „King“ drauf. „Wenn Sie fünf Kinder haben, dann hat einer immer irgendeine blöde Idee“, sagt der Trainer des VfL Wolfsburg und erzählt, wie sein Sohn mittags im Hotel mit der King-Kappe ankam mit der Bitte: „Papa, wenn du heute Pokalsieger wirst, dann musst du dieses Ding aufsetzen“. Weil Dieter Hecking nicht nur ein erfolgreicher Trainer ist, sondern auch ein guter Vater, hat er den Wunsch erfüllt und thront nun als König von Wolfsburg in den Katakomben des Olympiastadions, ein gutes Stündchen nach diesem 3:1-Sieg im Finale des DFB-Pokals über Borussia Dortmund.

Er ahnt in diesem Moment noch nichts von dem perfiden Anschlag auf die neue Monarchie vom Mittellandkanal, ausgeführt von drei Gestalten, die sich in seinem Rücken anschleichen. Es handelt sich dabei um eine multinationale Verschwörung aus Brasilien, Portugal und dem Schwarzwald. Daniel Caligiuri sichert den Rückzug, Vieirinha hat eine leere Bierflasche in der Hand und Naldo ein riesiges Weißbierglas, dessen Inhalt er so wuchtig über King Dieter entleert, wie er sonst seine Freistöße zu exekutieren pflegt. „Das war’s dann auch mit der Kappe“, sagt Hecking.

Dass mit dem Weißbier-Attentat ist aus München geklaut, von den Königen aller Feierbiester, die noch jeden ihrer zahlreichen Triumphe mit einer klebrigen Dusche für den Trainer gefeiert haben. Die Botschaft hinter dem Wolfsburger Remake lässt sich durchaus als eine verklausulierte Kampfansage verstehen: Wir können feiern wie ihr, und gewinnen können wir auch! Hinter dem Pokalsieg von Berlin steckt mehr als eine Aufwertung des klubeigenen Trophäenschrankes.

Er steht für das neue Wolfsburger Selbstverständnis, für eine gewandelte Mentalität des gesamten Vereins. Dass da im Schatten des Volkswagen-Werks ein neuer Gigant heranwachsen könnte, ist in den vergangenen Jahren oft vermutet worden. Aber passiert ist trotz millionenschwerer Investitionen wenig, mal abgesehen von der aus der Zeit gefallenen Deutschen Meisterschaft 2009, von der selbst in Wolfsburg kaum noch jemand redet, weil sie so gut wie gar keine Nachhaltigkeit gezeitigt hatte.

Dieter Hecking kann auch Titel gewinnen. „Ich habe es mir selbst gezeigt"

Diesmal ist es anders, und das hat viel mit Dieter Hecking zu tun. Dem auf den ersten Blick so bieder wirkenden Fußballlehrer, für den das Projekt Wolfsburg eine Nummer zu groß zu sein schien, als ihn der frisch bestellte Geschäftsführer Klaus Allofs vor zweieinhalb Jahren aus Nürnberg akquirierte. Alle Zweifel an seinen Fähigkeiten hat er spätestens in diesem Jahr zerstreut. Dieter Hecking hat das Projekt Wolfsburg geerdet und ihm Sympathiewerte verschafft, wie sie unter dem notorischen Verschwender Felix Magath nie möglich gewesen wären.

In dieser Saison kam auch der Erfolg dazu, in Gestalt der souveränen Qualifikation für die Champions League, garniert mit herausragenden Spielen wie dem 4:1 über die Bayern. Seit Samstag ist der VfL auch noch Pokalsieger und freut sich über eine für Mannschaft, Geschäftsführung und den Trainer selbst beruhigende Erkenntnis: Dieter Hecking kann auch Titel gewinnen. „Ich habe es mir selbst gezeigt“, erzählt er in der Nacht von Berlin, „ich wollte mit spätestens 50 Jahren einen Titel holen“, und der Pokal war seine letzte Chance vor dem 51. Geburtstag im September.

Noch auf dem Rasen des Olympiastadions ist ihm der Wolfsburger Manager Klaus Allofs um den Hals gefallen. „Er war ganz schön schwer“, sagt Hecking in dem leicht ironischen Ton, der für seine Entwicklung der vergangenen Jahre steht. So wie der VfL zu einem ernsthaften Herausforderer des FC Bayern herangewachsen ist, hat auch der Trainer an Statur gewonnen. „Er ist ein Baustein dieser Mannschaft, die über 90 Minuten Gas geben kann und ist taktisch immer gut vorbereitet ist“, sagt Allofs. „Das ist die Arbeit von Dieter Hecking.“

Und was spielt diese Mannschaft für einen aufregenden Fußball! Mit Stars wie dem auch am Samstag wieder einmal überragenden Belgier Kevin De Bruyne und dem Brasilianer Luiz Gustavo, Nachwuchskräften wie Maximilian Arnold und chronisch unterbewerteten Strategen wie Caligiuri oder Vieirinha. Und was gab es da unten auf dem Rasen zu besprechen mit dem schweren Klaus Allofs am Hals? „Wir haben uns gegenseitig dafür bedankt, dass wir zusammengefunden haben“, sagt Dieter Hecking. Auch dies eine kluge Antwort mit Sinn für Hintergründiges.

Alle reden nach dem Finale nur von Junior Malanda, der im Januar tödlich verunglückte

Später in der Nacht stößt noch Wolfgang Niersbach zur Wolfsburger Feiergesellschaft in einem Kreuzberger Club. Der DFB-Präsident kommt aus Zürich von einer eher freudlosen Veranstaltung mit den älteren Herrschaften der Fifa, und es findet sich für ihn noch ein Plätzchen am Tisch mit Hecking, Allofs und den VW-Granden Martin Winterkorn und Francisco Javier Garcia Sanz. Draußen projiziert ein Scheinwerfer das grün-weiße Klub-Logo auf das Spreeufer, drinnen schwirren die Wolfsburger Spieler durch die Gänge, sie tragen grün funkelnde Sonnenbrillen auf den Nasen und lassen sich mit Pokal fotografieren.

Auf der Bühne singen sie ihrem Stürmer Bas Dost ein Ständchen zum 26. Geburtstag, der Niederländer bedankt sich mit einer kurzen Soloeinlange. Und alle reden sie von Junior Malanda, ihrem im Januar tödlich verunglückten Mitspieler, Kevin De Bruyne nennt ihn „meinen kleinen Bruder“. Zu Malandas Ehren ist der VfL im Finale mit dessen Rückennummer 19 über den Vereinswappen aufgelaufen. „Er war nicht nur heute präsent, sondern in der gesamten Rückrunde“, sagt Dieter Hecking. „Wenn uns mal die Kraft auszugehen drohte, dann wussten wir immer: Wir haben da noch einen zwölften Mann, der uns hilft.“

Mit einigem Erfolg arbeitet der VfL Wolfsburg in dieser grün-weiß ausgeleuchteten Pokalnacht an der Widerlegung des Vorurteils der Fußball spielenden Belanglosigkeit. „Da soll man mal die Kirche im Dorf lassen“, sagt Hecking. „Jeder hat gehört, was für großartige Stimmung unsere Fans im Stadion gemacht haben. Und in Wolfsburg waren 25 000 Zuschauer beim Public Viewing. Wir müssen nicht mehr darüber reden, dass wir uninteressant sind.“

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