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Sport: Ein Star auf Tour

Jan Ullrich darf beim wichtigsten Radrennen der Welt starten – in Frankreich warten sie schon sehnsüchtig auf ihn

Berlin. Richard Virenque hatte noch etwas Zeit, die Schmerzen würden erst später kommen. Der französische Radstar stand im Pulk der Fahrer, ein paar Minuten vor dem Start zum kraftraubenden Klassiker Paris – Nizza, und plötzlich sah er am Straßenrand Philippe Legars. Das traf sich ausgezeichnet, denn Virenque hatte ein wichtige Frage: „Wie geht es Jan Ullrich?“ Legars zuckte mit den Schultern. „Geht so, seine Probleme mit Coast gehen weiter“, sagte er dann. Legars war nicht überrascht, weder von der Frage, noch davon, wer sie gestellt hatte. Legars wird oft nach Ullrich gefragt, auch von Profis, das hat mit seinem Job zu tun. Der 39-Jährige ist Radsport-Experte von „L’ Equipe“, der französischen Sport-Tageszeitung, dem Blatt, das die Tour de France ausgiebig begleitet, Legars kennt Ullrich seit zehn Jahren. „Ich schreibe jeden Tag über Ullrich“, sagt er. „Mehr als über Virenque.“

Das wundert nur Deutsche. „In Frankreich ist Ullrich berühmt und viel populärer als Lance Armstrong“, sagt Legars. „Er ist sehr wichtig für die Tour.“ Seit Freitagabend ist Ullrichs Tour-Start gesichert, sein neues Team Bianchi hat eine Lizenz zum Starten erhalten. Für Legars ist das wichtig. Denn Armstrong hat vier mal die Tour gewonnen, aber der Amerikaner ist zu überlegen, er macht die Tour langweilig. „Ich habe noch nie so viele Fragen von Lesern zu Ullrich bekommen wie in den vergangenen zwei Jahren“, sagt Legars. Die häufigste: Kann Ullrich Armstrong schlagen?

Aus dieser Frage speist sich die Popularität von Ullrich. „Er gilt als einziger Fahrer, der Armstrong gefährden kann“, sagt Legars. Viermal wurde Ullrich Tour-Zweiter, und in Frankreich rückt er damit ein bisschen in die Rolle eines Raymond Poulidor. Poupou, wie sie ihn in Frankreich nannten, war der Volksheld, der nie die Tour gewann, nie ein Gelbes Trikot trug, er war der Jäger, der Mythos wurde, weil er nie sein Ziel erreichte. Natürlich ist Ullrich kein zweiter Poulidor, er gewann die Tour immerhin 1997. Und Poulidor war Franzose, er konnte über seine Schmerzen und sein Glück reden, er konnte die Herzen der Fans erreichen. Jan Ullrich kennen die Franzosen nur als starken Radprofi. Aber sie kennen nicht den Menschen Ullrich.

Der Deutsche taucht so gut wie nie in einem TV-Sportmagazin auf, und er spricht kaum Französisch. Legars hat Ullrich mal zu Hause, in Merdingen, besucht. „Lern doch mehr Französisch, das erhöht deine Sympathie“, hat er ihm gesagt. „Aber mehr als merci und bonjour kann er immer noch nicht“, sagt Legars. Der Reporter beschreibt den Menschen Ullrich in „L’ Equipe“ als naiv, aber nett. Doch das Problem ist: Die Sportzeitung hat eine Million Leser, das Fernsehen 20 Millionen Zuschauer. Doch dort taucht Ullrich nicht auf.

Und was ist mit den negativen Schlagzeilen? Jan Ullrich, der Amphetamine schluckt und sechs Monate gesperrt wird, Jan Ullrich, der betrunken mit dem Auto ein Rad rammt, diesen Ullrich könnte man beschreiben. Aber die Pillen-Geschichte spielt in Frankreich kaum eine Rolle. „Privatsache“, sagt Legars.

Aber der Sportler Ullrich hat trotzdem eine Seite, die Mitgefühl weckt. Seine Einstellung weckt Emotionen. Er gilt als fairer Profi. Legars hatte Ullrich in einer dessen bittersten Tour-Stunden interviewt. Ullrich hatte bei einer Bergetappe einen Schwächeanfall und verlor neun Minuten auf Spitzenreiter Marco Pantani aus Italien. Anschließend saß der Deutsche im Hotel. Er war entspannt, Kameras liefen, ein Dolmetscher übersetzte, und Ullrich sagte: „Pantani hat verdient gewonnen.“ Das war Größe in der Niederlage. „Das hat ihm viel Sympathie eingebracht“, sagt Legars. Und jetzt warten sie alle in Frankreich auf den Mann, der Armstrong stoppt. Einer kann das nur. Legars sagt: „Wir alle warten auf den neuen Ullrich.“

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