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Sport: Ein Star muss gut aussehen

Wieso ist David Beckham ein Weltstar und Stefan Effenberg nur ein Fußballer? Hier erklärt „Gala“-Chefredakteur Peter Lewandowski, wie Fußballgötter gemacht werden. Und wieso die EM in dieser Hinsicht nur mittelmäßig ist

Die Sekunden vor dem Freistoß waren immer zum Niederknien. Waren? Sie sind es nach so vielen Jahren immer noch. Der Mann ging langsam in die Hocke, fixierte wie bei einem Pistolenduell aus einem Western seinen Gegner, die Mauer aus Kerlen, vor sich. Mit beiden Händen streichelte er den Ball so hingebungsvoll, als wolle er sagen: „Gleich mein Freund, wirst du für mich fliegen.“ Dann erhob er sich, majestätisch, strich sich die langen blonden Haare aus dem Gesicht, stützte seine Hände am Becken ab, ging ein paar Schritte zurück, die Ruhe vor dem Sturm.

Plötzlich explodierte der Mann, preschte nach vorne, traf den Ball, der sich blitzschnell erhob, schnurgerade über die Köpfe hinwegschnellte und in den Winkel des Tores einschlug. Ein Freistoßtor aus 20 Meter Entfernung, Tausende jubelten, und Günter Netzer, der erste deutsche Popstar auf dem Fußballplatz, drehte zufrieden ab. Cool und lässig wie immer – und wie es sogar uns Bayern-Fans gefiel. Aber was machte Netzer, den begnadeten Fußballer, zum Jugendidol?

Damals, Anfang der 70er Jahre, war es nicht nur sein mitreißendes Spiel, das den Mönchengladbacher zum Heroen erhob. Außerhalb des Spielfeldes zeigte sich der blonde Regisseur nur in Schwarz, mit schwarzem Ferrari, sogar die Freundin hatte schwarze Haare. Den Kids imponierte das so sehr, dass einige anfingen, ihre Zimmer schwarz zu streichen. Der extravagante Lebensstil des nebenberuflichen Diskothekenbesitzers wurde nur von einem konterkariert: Paul Breitner baute sich des Image des linken Rebellen auf, der Mao verehrte und auf extravaganten Lifestyle Mönchengladbacher Prägung pfiff. Erst nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft fanden die beiden zusammen, entdeckten ihre Liebe zu Rotwein und gutem Essen und prägten gemeinsam den Stil von Real Madrid.

Seitdem hat der Fußball viele Popstars kreiert. Einige sind dabei zugrunde gegangen, weil sie mit dem Druck der Öffentlichkeit, den Erwartungen der Fans außerhalb des Rasens nicht umgehen konnten. Maradona, das Genie aus Argentinien, muss noch heute, nach zig Drogenexzessen und Entziehungskuren, um das Leben seines ausgelaugten, zerstörten Körpers kämpfen.

Andere können sich vor Geld und Ruhm nicht mehr retten und haben vor lauter Eitelkeit vergessen, was sie überhaupt groß gemacht hat. Und so besucht David Beckham mit seiner genauso berühmten Victoria lieber Gartenpartys seines Kumpels Tom Cruise, nachdem er in der Qualifikation mit England so kläglich scheiterte und spätestens seither auf der Insel als Weichei verlacht wird. Trotzdem hätte er bei der jetzigen EM mit Sicherheit allein schon durch die Anwesenheit seiner Familie für den richtigen Glam-Faktor gesorgt.

Vor ein paar Tagen war ich in Hamburg bei einem Open-Air- Konzert des genialen Pianisten Lang Lang. In der Pause unterhielt ich mich mit Freunden natürlich über Fußball, wir stellten aber schnell fest, dass uns die EM 2008 bei weitem nicht so fesselt wie vor zwei Jahren das WM-Sommermärchen. Wie Günter Netzer und Gerhard Delling fragten wir uns, wer am Ende der Star dieses Turniers sein könnte. Nicht nur der beste Spieler, sondern der Glamourboy, der neue Luis-Beckham- Figo, geborener Netzer sozusagen. Was aber macht so einen Glamourboy aus dem Ballsport, so einen Fußballgott aus? Sein Handwerk zu können, genügt nicht, ist aber unabdingbar.

Was machte den Unterschied zwischen Günter Netzer und Wolfgang Overath? Zwischen Maradona und Lothar Matthäus? Einem David Beckham und Stefan Effenberg? Spektakuläre Tricks, gekonnte Freistöße und ein elegantes Spiel sind die Basis für übergeordneten Ruhm. Das ist genauso von Gott gegeben wie gutes Aussehen. Alles Weitere ist eine Frage der Inszenierung, der Regie cleverer Medienberater oder Manager. Günter Netzer war (und ist immer noch) hervorragend darin, sich selbst zu vermarkten. Franz Beckenbauer hat seinen lebenslangen Ruhm neben den sportlichen Erfolgen vor allem seinem inzwischen verstorbenen Manager Robert Schwan zu verdanken. Und ein David Beckham konnte nur so groß werden, weil er das gleiche Management wie seine Frau und die Spice Girls hat. Und dieser Simon Fuller versteht es, die Fäden zu ziehen. Er erfand zum Beispiel „Pop Idol“, die erste Music-Castingshow, die auch Vorbild für „Deutschland sucht den Superstar“ ist. Der Brite kennt das richtige Rezept für Stars: Leistung, Disziplin und gutes Aussehen sind wichtig – und man muss immer positive Geschichten über die Helden streuen. Ob Simon Fuller in Österreich und der Schweiz sich schon einen Kandidaten ausgesucht hat? Bei der Europameisterschaft der Mittelklasse scheint keiner in Sicht.

Cristiano Ronaldo ist noch zu jung und mit zu vielen Affären beladen. Außerdem ist er mittlerweile schon wieder zu Hause. Und die Jungs, die so tun, als ob, wirken doch eher verkrampft. Ich mag Bastian Schweinsteiger, seine unbekümmerte Art, sein oft freches Spiel. Aber außerhalb des Platzes? Oft kommt der junge Mann mit der ihm zugeschriebenen Rolle als Popstar der Zukunft nicht zurecht, möchte einfach nur Fußball spielen und ansonsten seine Ruhe haben. Seine hübsche Freundin scheint das öffentliche Interesse (inklusive Schlagzeile in der „Bild am Sonntag“) mehr zu genießen. Vielleicht ist es aber auch ein Trugschluss, dass Frauen an der Seite eines Sportstars immer so viel Schwein haben, dass sie selbst berühmt werden. So wie Verena, die jahrelang an der Seite von Torwartgigant Kahn zu sehen war und von einer eigenen Fernsehkarriere träumte, die aber nie so richtig zum Laufen kam.

Sylvie van der Vaart, die das Potenzial zum Megastar hätte (gemeinsam mit ihrem Mann), will nicht. Aber für diese Europameisterschaft wird das nun ohnehin nichts mehr. Auch für ihn nicht.

Peter Lewandowski ist Chefredakteur der Illustrierten „Gala“.

Peter Lewandowski

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