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Sport: Ein Traum in Violett

Wie die Fans von Austria Salzburg ihren Verein verloren und in der Kreisklasse wiederfanden

Normalerweise sind es nur ein paar hundert Zuschauer, die die Heimspiele des Kreisligisten USC Schleedorf im Salzburger Land verfolgen. Vor zwei Wochen jedoch wurde plötzlich im gesamten Dorf plakatiert, ein grün-weißer Fanschal gestrickt und schließlich kamen 1300 Zuschauer. Denn die Austria aus Salzburg kam. Der dreifache österreichische Meister und UEFA–Cup-Finalist in Schleedorf. Nicht in Freundschaft, nicht zur Vorbereitung, sondern als Spitzenspiel in der 2. Kreisklasse.

Es ist eine merkwürdige Geschichte, die die Austria bis auf den Dorfsportplatz von Schleedorf geführt hat. Eine Geschichte, die viel über den modernen Fußball und seine Fans erzählt. Sie beginnt im Jahre 2005, als der österreichische Brause-Hersteller Dietrich Mateschitz die Austria aufkaufte und den krisengeschüttelten Klub flugs nach allen Regeln des modernen Sportmarketings modellierte. Statt der traditionell violetten Trikots trug die Mannschaft die Farben der Limonade, später wurde auch der Vereinsname geändert, der Klub grüßte nun als „Red Bull Salzburg“.

Die Anhänger reagierten empört. Weniger über die Umbenennung, die Verunstaltung der Vereinsnamen hat in Österreich Tradition. Die Vereinsfarben sind allerdings noch immer sakrosankt. Nach geharnischten Protesten bat die Klubführung zu Gesprächen und signalisierte Verhandlungsbereitschaft. Eine Farce, wie sich schnell herausstellen sollte. „Die sind eiskalt und haben nur ihr Geschäft im Sinn“, wurde Moritz Grobovschek, dem Verhandlungsführer der Initiative Violett-Weiss, bald klar. Das Angebot der Klubführung sprach Bände. Ein violettes Ausrüster-Logo, eine violette Kapitänsbinde und violette Torhüterstutzen wollte man den Anhängern zugestehen, mehr auf keinen Fall. Die Fans brachen die Verhandlungen ab.

Es folgten schmerzhafte Wochen. „Du wählst dir deinen Verein nicht aus, er wird dir gegeben“, schrieb einst Nick Hornby. Dem geliebten Klub den Rücken zu kehren, fiel keinem der Anhänger leicht. Doch der neue Vereinseigner machte den Fans den Abschied leichter. Parallel zu den Verhandlungen wurden die Stehtraversen der Ultras in eine Sitzplatztribüne umgebaut. Gefrustet schworen 2000 Austrianer, nicht mehr zurück- zukehren in die neue, bunte Fußballwelt des Herrn Mateschitz.

Und schon bald geisterte ein ganz neuer Gedanke durch die Salzburger Fanszene: Wir gründen die Austria neu und fangen noch einmal ganz von vorne an. Warum sollte das nicht gelingen, fragten sich die Fans. Haben sich nicht Anhänger des FC Wimbledon dem Umzug ihres Klubs in die Trabantenstadt Milton Keynes verweigert und kurzerhand den AFC Wimbledon neu gegründet? Und versammelt nicht der FC United of Manchester tausende Anhänger, die sich in „Old Trafford“ nicht mehr heimisch fühlen?

Bald schon trafen sich Anhänger im Salzburger Wirtshaus „Hirschl & Adler“, dem traditionellen Treffpunkt der Salzburger Fans. Erst waren es nur vier, später zwanzig Anhänger, die am 7.Oktober die „SV Austria Salzburg“ ins Vereinsregister eintragen ließen. Ein Neuanfang und zugleich der wohl schmerzlichste Schritt für viele Anhänger.

Doch keine Zeit für Melancholie, für trübe Gedanken. „Wir haben rasch ein handlungsfähiges Gremium gewählt, das die Idee eines volksnahen Vereins vorangetrieben hat“, erinnert sich Aktivist Wolfgang Monger, heute Geschäftsführer der neuen SV Austria. Eine Idee, die schnell anachronistisch wirkt, in einer Zeit, in der Stadien heißen wie Firmenparkplätze und Fußballfans von den großen Klubs ganz selbstverständlich als Kunden angesprochen werden.

Die Geschichte der neuen Austria spielt deshalb auch nicht in der österreichischen Bundesliga, sondern ganz unten, in der siebten Liga. Dort, wo es keine Tribünen gibt, sondern eine Stange zum Anlehnen, wo kein Hinweisschild den Weg zum Fußballplatz weist, und wo mitunter auch korpulente Abwehrrecken den Weg in die erste Elf finden. „Wir wollen 2010/2011 in der zweiten Liga spielen“, sagt der Vorsitzende Grobovschek.

Noch aber hatten die wackeren Austrianer noch nicht einmal einen Trainer, von Bällen und Trikots ganz zu schweigen. Den Coach fanden Grobovschek und seine Mitstreiter in Gustl Kofer, ein ehemaliger Kicker der „Violetten“. Der kann sich die Jobs aussuchen, zögerte aber „keine Sekunde“. Eine „reine Herzensangelegenheit" sei es für ihn, die Austria zu trainieren: „Hier passiert Einzigartiges“, schwärmte Kofler und machte sich an die Arbeit.

Geschäftsführer Monger und der sportliche Leiter der Austria, Gerhard Stöger, telefonieren in den folgenden Wochen rund 150 Spieler ab und haben bald einen 20 Mann starken Kader beisammen.Spieler, die längst höherklassig spielen könnten und doch für die Austria spielen wollen. „Dieser Monat war reiner Selbstmord", ist Monger froh die Zeit ohne größere Schäden und mit erfolgreichem Sportmanagement-Diplom überstanden zu haben. Währenddessen kümmerte sich Moritz Grobovschek um einen Business-Plan und um Sponsorenakquise. Was man eben so zu tun hat, als Vereinsvorstand.

Schon bald vermeldete die Führung erste Erfolge. Ein Wettanbieter stieg als Hauptsponsor ein, Kleinsponsoren folgten. Geschickt argumentierte Grobovschek mit den rund 1000 Anhängern, die künftig die Spiele in der Amateurklasse anschauen werden. Doch auch, wenn schon bald das erste Geld in die Vereinskasse fließt, die infrastrukturellen Probleme waren drängender.

Zwar gab es einen Trainer, eine Mannschaft, Bälle und violette Trikots, aber im fußballplatzarmen Salzburg keine Heimat für das Training und die Heimspiele. In mühsamen Gesprächen putzte der Vorstand daraufhin bei den beiden großen Sportdachverbänden die Klinken. Enttäuschungen bleiben nicht aus. „Es war frustrierend zu sehen, dass vieles, was wir vorhatten, nicht gewünscht war", sagt Grobovschek. Inzwischen spielt und trainiert die Austria auf einem Platz des Sport-Union Verbandes.

Dann ist es endlich so weit. Am 22.Juli unterliegt die SV Austria dem klassenhöheren Konkurrenten USK Anif klar mit 0:6. Und doch wird jeder Spielzug der neu formierten Mannschaft von tausend Anhängern frenetisch bejubelt, neunzig Minuten lang dröhnen Sprechchöre über den Platz, wird jeder einzelne Spieler gefeiert, die angestauten Emotionen brechen sich Bahn. „Die Härtesten der Harten lagen sich heulend in den Armen“, erinnert sich Wolfgang Monger an seinen bisher schönsten Moment als Geschäftsführer.

Die ersten Spiele in der 7.Liga hat die Austria fast alle gewonnen, das bedeutet Tabellenplatz 3. Rund 1000 Fans kommen zu jedem Spiel, die Wege auch zu Auswärtsspielen sind schließlich nicht weit. Doch die Idylle ist gefährdet, nicht einmal das Heimstadion, das nur ein Fußballplatz ist, ist den Violetten sicher. Der UFC Salzburg sieht sein angestammtes Territorium in Gefahr. „Sehr sensibel“ will Moritz Grobovschek vorgehen. Der Vorsitzende ist über die Monate an seiner Aufgabe gewachsen, am liebsten wäre ihm aber, es übernähme ein Violetter mit Einfluss das Ruder. Einer solchen Galionsfigur hielte Grobovschek gerne den Rücken frei. Hannes Winkelbauer wäre solch ein Kandidat. Der ehemalige Nationalspieler war Kapitän, Trainer und Manager bei Austria Salzburg und ist inzwischen einer der renommiertesten Sportjournalisten in Österreich. Die neue Austria habe „sehr talentierte, aber unerfahrene Leute an der Vereinsspitze“. Kann die Austria es dennoch schaffen? „Ja“, sagt Winkelbauer, „aber einfach wird es sicher nicht. Man braucht viel Geduld.“

Eines jedoch kann sich die Austria jetzt schon auf die Fahnen schreiben. Extra angereiste Anhänger aus dem italienischen Udine hatten beim Auftaktspiel die Salzburger auf einem Banner herzlich beglückwünscht: „Gratulation zum größten Sieg gegen den modernen Fußball."

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