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Sport: Ein Traumpaar - und viele Luftschlösser

BERLIN . Ein Tag vor zehn Jahren und die Erinnerung daran verleihen dem grandiosen Paris-Triumph von Steffi Graf eine noch größere historische Dimension.

BERLIN . Ein Tag vor zehn Jahren und die Erinnerung daran verleihen dem grandiosen Paris-Triumph von Steffi Graf eine noch größere historische Dimension. Am 9. Juli 1989 schallte um 15.40 Uhr in den aufbrausenden Beifall der 14 000 Zuschauer in Wimbledon das "Game, Set, Match Graf, 6:2, 6:7, 6:1". Martina Navratilova (USA) war geschlagen. Um 18.20 Uhr am selben Sonntag wieder donnernder Applaus für das "Game, Set, Match Becker 6:0, 7:6, 6:4." Stefan Edberg (Schweden) hatte verloren. Deutschland hatte binnen dreieinhalb Stunden zwei Wimbledonsieger. Steffi Graf ist heute immer noch ganz oben. Boris Becker will auch noch einmal an die Glücksgefühle von damals anknüpfen. Doch in die Hoffnung für ein vom Publikum sicher warmherzig gefeiertes Comeback der beiden "German Wunderkinder" von einst mischen sich Enttäuschung und Ärger. Graf und Becker, das Duo, dem der deutsche Tennissport wunderbare Jahre zu verdanken hat, haben beide ihre Karrieren mit Fleiß, Zähigkeit, Können und extrem viel Arbeit vor dem in diesem Geschäft immer drohenden Absturz bewahrt. Aber der deutsche Tennissport insgesamt hat die daraus erwachsenen Chancen für eine gesicherte Zukunft auf einem bleibenden hohen Niveau leichtfertig verspielt.

Gewiß, da war noch Michael Stich, auch er ein Wimbledonsieger. Da waren noch die vier Freunde Becker, Carl-Uwe Steeb, Eric Jelen und Patrik Kühnen, die in Göteborg gegen Schweden sensationell erstmals für Deutschland den Davis Cup gewannen. War da noch was? Ein paar Randnotizen im Geschichtsbuch des Tennissports waren noch Claudia Kohde-Kilsch und Anke Huber gewidmet. Die eine verschleuderte ihr Talent, die andere wurde auf dem Platz nie so richtig erwachsen. Bei den Herren liegt im langen Schatten von Boris Becker alles darnieder. Die Weltmeisterschaft in Düsseldorf endete im Krach, zum Schluß redeten die Streithähne nicht einmal mehr miteinander, die vorher so groß getönt hatten.

Mißgunst und Hader liegen auch in der Hamburger Zentrale des Deutschen Tennis-Bundes (DTB) ständig in der Luft. Die gebotene Konzentration auf das eigentlich Schwierige, nämlich das beschützende Heranwachsen der nächsten Erfolgs-Generation nach Graf und Becker, ist völlig aus den Augen verloren worden. Der Streit um Geld, um sehr viel Geld und um Posten, auch heute in der Tennis-Welt noch um sehr schöne Posten und Pöstchen, hat alles verdorben. Reicht es da aus, wenn der in den glanzvollen Jahren verantwortliche Ex-Präsident Claus Stauder heute im Rückblick auf jenen Tag vor zehn Jahren sagt: "Steffi und Boris, das ist eine Jahrhundert-Erscheinung, das sind unvergleichliche Rekorde für die Ewigkeit."

Nur nicht vergleichen, so und ähnlich wollen sich auch die meisten anderen Funktionäre vor dem Anlegen einer Meßlatte retten, deren Maßstäbe die Leistungen von Graf und Becker sind. Im Erfolg der beiden gesonnt haben sich alle stets gern. Doch im strahlenden Kameralicht der vielen Siegesfeiern ist dann wohl vergessen worden, daß es im Tennis-Alltag der Zukunft ohne energisches und sorgfältig geplantes Zutun nicht einfach so weitergehen kann.

Es gab, zugegeben, Ansätze. Noch am selben Abend des 9. Juli 1989, an dem sich das deutsche Traumpaar in der "Viewing Lane" hinter dem efeubewachsenen Centre Court von begeisterten und gerührten Engländern feiern ließ, Steffi und Boris eingehakt, links mit Silberteller, rechts mit Gold-Trophäe im Arm, saß im sogenannten "Deutschen Haus" eine kleine Gruppe von Spitzenfunktionären nach etwas Champagner-Genuß beisammen. In der feierseligen Stimmung entstanden Visionen von Tennis-Internaten mit vielen wohlerzogenen Jugendlichen auf den Spuren ihrer Vorbilder, Entwürfe von kreuz und quer durch die internationale Tennis-Welt ziehenden Kleingruppen, bestenfalls vier bis fünf, welche langsam herangeführt werden sollten an das Streß-Niveau der Großen. Ein Grand-Slam-Turnier sollte nach Deutschland geholt werden, das Masters aus New York für immer in Deutschland beheimatet werden. Luftschlösser, Sandburgen, alles hinweggefegt von der Wirklichkeit mit einer keineswegs schlafenden Konkurrenz.

Doch damals, am ersten Sonntag seit 112 Jahren, an dem in Wimbledon das Damen-Finale gespielt wurde, war die Welt aus deutscher Sicht total in Ordnung. Die Journalisten aus aller Welt blätterten eifrig die Statistiken und Geschichtsbücher durch. Noch nie hatten zwei Spieler aus einem Land in so kurzer Zeit hintereinander Wimbledon gewonnen. Es war erst das dritte Mal, daß bei einem Grand-Slam-Turnier beide Titel an deutsche Spieler gingen. Dies war vorher nur Gottfried von Cramm und Hilde Sperling 1936 sowie Henner Henkel und Hilde Sperling 1937 jeweils in Paris gelungen.

Bei so großen Namen war es nur folgerichtig, daß sich am Abend des denkwürdigen Sporttages beim traditionellen "Champions Dinner" die ganz Großen der Zunft zur Gratulationscour versammelten. Der greise britische Gentleman Fred Perry war da, ebenso der Amerikaner Donald Budge als erster Grand-Slam-Gewinner überhaupt. Der französische "Musketier" Jean Borotra verbeugte sich, und die mit 93 Jahren damals noch lebende älteste Wimbledonsiegerin Kitty Godfree ließ sich die Teilnahme an der Feierstunde auch nicht nehmen.

Vor soviel Berühmtheiten und in anfangs typisch steifer britischer Stimmung war es nicht leicht, die richtigen Worte zu finden. Zumal an den kerzenbeleuchteten Tischen langsam ein unwilliges Gemurmel einsetzte, weil Boris Becker um 22 Uhr, alle verspürten langsam Hunger, immer noch nicht zum Essen erschienen war und die Harfenspielerin des öfteren schon Stücke wiederholt hatte. Auch Steffi Graf war ein bißchen nervös geworden und sagte später dann nur, daß sie stolz auf die zwei deutschen Flaggen hinter ihr an der Wand sei und wie schön es sei, daß Boris Becker mit ihr an diesem Tisch sitze. Boris Becker sprach über einen "sehr bedeutenden und sehr emotionalen Moment". Später sagte er, so richtig würden die Leute in Deutschland erst merken, was dieser Doppelsieg bedeutet, "wenn wir beide Großvater und Großmutter sind". So gesagt und so gesehen haben auch die Tennis-Funktionäre noch recht viel Zeit, aus diesem Tag mehr zu machen als bisher, zehn Jahre danach.

HANS-RÜDIGER BEIN

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