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Sport: Eine Nation atmet auf

Hauptsache weiter – Frankreich nach dem 3:1

Zunächst schien es, als sollte die Musik in Frankreich am Montag den Sieg davontragen. Paris feierte die „Fete de la Musique“, und an allen Ecken spielten Bands und Straßenmusiker. Von EM-Fieber war kaum etwas zu spüren. Dabei ging es für die Equipe Tricolore doch um den Einzug ins Viertelfinale – und darum, ob das Land ab etwa 22.45 Uhr in große Euphorie oder in tiefe Trauer verfällt. Doch je näher der Anpfiff des letzten Gruppenspiels gegen die Schweiz rückte, desto mehr Menschen wandten sich von den Bands ab und den Leinwänden zu.

Mehrere Zehntausend drängelten sich vor dem Rathaus mitten in Paris – dort, wo jedes Spiel live gezeigt wird. Auf den Straßen ging bald nichts mehr. Das Hupen der Auto- und Busfahrer fügte sich in die Gesänge der Fans ein, selbst der ehrgeizige Verkehrspolizist in seiner gelben Veste gab irgendwann auf. Ab 20 Uhr 45 dann hatte der Fußball endgültig die Hauptrolle übernommen. Die Bands spielten nur noch die Begleitmusik. Die Kneipen waren proppevoll, draußen drückten sich etliche die Nase platt und vorm Hotel de Ville ging nach dem Doppelpack von Thierry Henry zum 3:1 ein bengalisches Feuer nach dem anderen an. Zum Ende der Gruppenphase sind auch die Menschen im Land des amtierenden Europameisters endgültig im Turnier angekommen.

Ganz so euphorisch wie die Stimmung vor dem Pariser Rathaus ist die nationale Gemütslage aber nicht. „Welch Erleichterung“, titelte die größte französische Sportzeitung, „L’Equipe“, am Tag nach dem Einzug ins Viertelfinale. „Le Parisien“, die meistgelesene Zeitung in Paris, atmet auch nur tief durch: „Es ist geschafft“. Und „Le Monde“ formuliert es pathetisch: „Qualifiziert im Schmerz“. Von großer Freude über die Qualität des Spiels und den Auftritt ihrer Spieler liest und hört man nichts. Hauptsache weiter, der Rest ist egal. Zumindest wurde ein Debakel wie vor zwei Jahren vermieden, als die Nation nach dem Vorrundenaus bei der WM in Asien wie paralysiert war.

Große Angst hatte vor allem das magere 2:2 gegen Kroatien verbreitet. Ganz Frankreich diskutierte über das System von Nationaltrainer Jacques Santini. Im Radio, das in Frankreich noch immer sehr populär ist und fast denselben Stellenwert genießt wie das Fernsehen, werden nahezu alle Spiele live übertragen, und es wird viel diskutiert. Die Mannschaft sei nicht fähig, länger als fünf Minuten gut zu spielen, hieß es, von ständiger Mittelmäßigkeit ist auch nach dem Sieg gegen die Schweiz noch die Rede. Immer wieder taucht die Frage auf: Warum nur hat die Mannschaft ihre Souveränität verloren? Auch „L’Equipe“ lässt kaum ein gutes Haar am Spiel des Teams: „Sie war defensiv nicht gut, ist physisch erschöpft, und im Spiel nach vorne bewegt sich nicht viel.“

Insbesondere die Abwehr steht immer wieder unter Beschuss, allen voran Mikael Silvestre. Zwei Elfmeter hat er schon verschuldet, zwei Gegentore gehen auf seine Kappe. Er avanciert allmählich zum Carsten Ramelow des Titelverteidigers. Doch auch die Stürmer bleiben nicht verschont. Während bei Silvestre in der Kneipe und auch auf den Straßen Ärger den Ton der Fans bestimmt, ist es bei David Trezeguet eher Mitleid. Trotzdem sind alle froh, dass das Unternehmen Titelverteidigung weitergeht. Und deshalb treffen sich auch ohne „Fest der Musik“ am Freitag wieder alle am Hotel de Ville wenn es im Viertelfinale gegen Griechenland geht. Ganz Frankreich hofft, dass es nicht das letzte Mal sein wird.

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