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Sport: Eine Straße, die niemals schläft

In der Long Street von Kapstadt schlägt das Herz der WM. Auch nach dem Aus des Gastgebers feiern hier Menschen aus aller Welt

Bis zum letzten Vuvuzelastoß hofft, bangt und zittert die Nation mit Bafana Bafana. An Südafrikas ältester und bekanntester Straße stehen sie am Dienstagabend, schwarz und weiß und gelb und braun, hier zwanzig, da dreißig, vierzig oder fünfzig Leute, überall dort, wo im Schaufenster eines Ladens oder hinter dem Tresen einer Bar gerade ein Fernseher auszumachen ist. Die Sonne geht langsam unter, aber das Licht der Bildschirme strahlt nach draußen auf die Long Street, die Lautsprecher sind bis zum Anschlag aufgedreht, und alle in der bunten Masse sind sie sich einig in ihren Gebeten, es möge doch noch ein Wunder geschehen.

Es geschieht kein Wunder.

Jedenfalls kein sportliches. Um kurz vor sechs ist Bafana Bafana, die südafrikanische Nationalmannschaft, raus aus dem Weltturnier, trotz eines finalen 2:1-Sieges über Frankreich. Und jetzt beginnt das Wunder hinter dem verpassten Wunder. Denn es gibt keine Tränen in Kapstadt, keine Randale, ja nicht einmal verzweifeltes Schweigen. „Ihr könnt stolz sein, Jungs!“, ruft Staatspräsident Jacob Zuma der Nationalmannschaft über das Fernsehen zu. Die Party geht weiter, die Vuvuzelas blasen so laut und intensiv und vielstimmig wie zuvor, mindestens.

Die Long Street im Herzen Kapstadts ist den Südafrikanern in diesen Tagen, was den Deutschen vor vier Jahren die Fanmeile rund um das Brandenburger Tor war. Nur noch viel lauter, enger und wilder. Am heftigsten war es am vergangenen Wochenende. Als die Engländer in Kapstadt einfielen, geschätzt 30 000, sie begossen erst die Niederlage ihres deutschen Lieblingsfeindes gegen Serbien und ertränkten später den Kummer über das karge 0:0 gegen Algerien, verspottet von den Brasilianern, die oben auf den Balkonen standen und „Viva Algeria!“ sangen. Die Nacht ist spät zu Ende gegangen, ja eigentlich überhaupt nicht, was nicht weiter ins Gewicht fiel, denn die Long Street schläft nie. Jedenfalls nicht während dieser WM-Tage, egal, wer spielt. Hier feiern die Fans, jeden Tag, jede Nacht, rund um die Uhr.

Es gibt auch in Kapstadt ein offizielles Fanfest, auf der Grand Parade, wo Nelson Mandela seine erste Rede gehalten hat nach der Freilassung aus dem Kerker der Apartheid. Hier feiert sich die Fifa selbst, mit lizenzierten Souvenirs und Sponsorenbier. Die eigentliche Party steigt einen Plastiktrompetenstoß weiter in der Long Street. Alle paar Meter streiten Pubs und Cafés, Restaurants und Bistros um Kundschaft, und in den vergangenen zehn Tagen gab es nur einen Augenblick, in dem die unvermeidlichen Vuvuzelas schwiegen. Das war vor einer Woche, als der Schiedsrichter abpfiff nach Bafana Bafanas 0:3 gegen Uruguay und den Capetonians dämmerte, dass es bald vorbei sein könnte mit der Party – jedenfalls, was ihre Mannschaft betrifft. Nach kurzem Innehalten aber ging es umso wilder weiter, auch nach dem Ausscheiden am Dienstag, denn auch Trauerfeiern wollen gefeiert werden, aber hallo!

Am lautesten ist es zwischen Daddy Long Legs Hotel und den riesigen Palmen an der deutschen Kirche St. Martini, wo Massenschänken wie The Dubliner oder das Long Street Café um Kundschaft werben. Hier wird die Long Street geprägt von viktorianischen Villen mit ihren schmiedeeisernen und mit Fahnen aus aller Welt geschmückten Balkonen. Und von den Menschen, jung und alt, schwarz und weiß und gelb und braun, alle feiern sie zusammen eine Party.

Das Feiern hat Tradition in der Long Street. In den Clubs und Bars zu beiden Seiten der dreispurigen Magistrale verhalfen Künstler wie Abdullah Ibrahim dem südafrikanischen Jazz zu einer ersten Blüte. Die Long Street war schon kosmopolitisch, als die burische National Party noch die Rassentrennung predigte und so etwas wie eine Fußball-Weltmeisterschaft undenkbar gewesen wäre wegen der internationalen Ächtung des Landes. Verdammt lang her. Neben der St.- Martini-Kirche gibt es weiter unten auch zwei Moscheen. In friedlicher Koexistenz reihen sich kapmalayische, burische, englische und schwarzafrikanische Restaurants aneinander, Cabarets und Kinos, Designerläden und Antiquitätengeschäfte. So turbulent wie auf der Long Street muss es zu Weimarer Zeiten auf der Friedrichstraße zugegangen sein.

In der Long Street ist Kapstadt so laut und bunt und roh, wie es seinem Image als New Orleans der Südhalbkugel entspricht. Und während der WM ist es noch ein bisschen lauter, bunter und roher, mit Straßenhändlern und Bettlern und Huren. Und wer mit dem ganzen Fußballtrubel gar nichts anfangen kann, ist bei einer Rugby-Übertragung in „Bob’s Bar and Bistro“ gut aufgehoben. An der Tür warnt ein Schild unmissverständlich: „No Vuvuzelas!“

Die Long Street ist für Kapstadt,

was die Fanmeile 2006

für Berlin war

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