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Sport: Eine Trainerin namens Mutti

Sandra Völker verlässt überraschend wieder ihren Schwimm-Coach und wechselt zu Beate Ludewig nach Berlin

Berlin. Jirka Letzin erhielt den entscheidenden Anruf am Mittwochabend. Da ahnte er allerdings noch nicht, welche Folgen dieser Anruf für ihn habe sollte. Sandra Völker teilte ihm nur mit, dass sie vor dem Training am nächsten Tag noch etwas zu besprechen habe. Gestern früh nun verkündete die dreimalige Schwimm-Weltmeisterin ihrem Trainer Letzin in der Halle des Bundesstützpunktes Leipzig, dass die Zusammenarbeit beendet sei – 185 Tage vor den Olympischen Spielen, nur fünf Monate, nachdem sie spektakulär ihren früheren Trainer Dirk Lange und den Trainingsort Hamburg verlassen hatte. Deshalb ist die Nachricht so kurios. Der völlig überraschte Letzin erfuhr auch die weiteren Pläne der Weltrekordlerin über 50 Meter Rücken: Sie werde sich ab sofort in Berlin bei Trainerin Beate Ludewig auf Olympia vorbereiten. Ludewig betreut auch die zweimalige Staffel-Olympiasiegerin Katrin Meißner und den fünfmaligen Rücken-Europameister Stev Theloke.

„Sie hatte wohl andere Vorstellungen über das Training in der heißen Phase vor Olympia“, sagt Letzin. Sandra Völker sagte dem Tagesspiegel, dass ihr Methoden, die spezifisch für Kurzstrecken sind, gefehlt hätten. Jirka Letzin habe eher Methoden für längere Strecken gekannt. Letzin war früher Lagenschwimmer.

Sandra Völker hatte allerdings noch vor dem Kurzbahn-Weltcup in Berlin im Januar die Methoden ihres Trainers Letzin gelobt. Schließlich hatte sie ihn wegen dieser Methoden als Coach gewählt, obwohl der frühere Lagen-Spezialist als Trainer ein Neuling ist. Und als Völker in Berlin beim Weltcup in ein paar Sätzen die Unterschiede des Trainings von Lange und Letzin aufzählen sollte, winkte sie mit dem Hinweis ab: „Haben Sie eine halbe Stunde Zeit?“

Unzufrieden mit Letzin

Es hätten auch fünf Sekunden genügt, stellt sich jetzt heraus. Die 29-Jährige hätte auch sagen können, dass sie unzufrieden mit Jirka Letzin sei, weil er sie nicht weiter bringe. Denn genau bei diesem Weltcup hatte Völker Ludewig bereits angesprochen. „Sie fragte mich, ob ich ihr Training übernehmen kann“, sagte Ludewig. „Ich war erst mal geschockt, dass sie mich das überhaupt fragt. Sie war doch erst so kurz bei Jirka.“ Nach einer Bedenkzeit sagte Ludewig zu.

In Berlin ist Völker in der Trainingsgruppe mit Theloke und Meißner zweifellos mehr gefordert als in Leipzig, wo sie keine gleichstarken Konkurrenten hatte. Meißner und Theloke starten genau auf den Strecken, in denen auch Völker stark ist. Mit Meißner schwamm sie zudem in der 4-x-100-Meter-Freistil-Staffel, die bei der EM 2002 einen Weltrekord aufstellte. Und Ziel von Völker in Athen kann „nur Gold mit der 4-x-100-Meter-Freistil-Staffel sein“, sagt Ludewig. Sandra Völker selber redet nur von „einer Medaille“. Egal, ob Staffel oder Einzelrennen. Sie kenne Ludewig seit langem, ihren Methoden vertraue sie, sagte die 29-Jährige.

Dass Völker ausgerechnet zu Ludewig wechselt, ist im Grunde nicht überraschend. Die Berliner Trainerin gilt als Spezialistin für menschlich schwierige Fälle. Nicht ohne Grund trägt sie in der Nationalmannschaft den Spitznamen „Mutti“. Die fürsorgliche, aber strenge Trainerin hat schon Stev Theloke übernommen, nachdem der 2003 in eine sportliche und menschliche Krise geraten war und sich abrupt von seiner langjährigen Trainerin getrennt hatte.

Dabei hätte Ludewig genug mit ihren Problemen zu tun. Sie hat gerade diverse Arbeitsgerichtsprozesse hinter sich. Und verloren. Deshalb trainiert sie jetzt zwar Weltklasse-Schwimmer, „aber nur ehrenamtlich“. Früher stand sie auf der Lohnliste des Berliner und des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV). Damals betreute sie noch die Schwimmer Ralf Braun und Anke Scholz. Dann ordnete der Olympiastützpunkt Berlin (OSP) an, dass sie als Betreuerin von Topathleten von 2001 an vertraglich unter OSP-Regie arbeiten müsse. Kurz darauf flog sie raus. Hintergrund war der Vorwurf, das Vertrauensverhältnis sei gestört. Ludewig habe sich in zu viele Dinge außerhalb des Trainings eingemischt. Ludewig klagte sich durch die Instanzen und verlor zuletzt vor dem Bundesarbeitsgericht. Die Richter entschieden, sie habe kein Recht auf Wiedereinstellung, weil Trainer kein geschützter Beruf sei. „Jetzt hoffe ich, dass der DSV sich an der Finanzierung beteiligt“, sagt Ludewig. Bislang lebt sie von etwas anderem: „Ich gebe Kindern Schwimm-Unterricht.“

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