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Sport: Einmal Tschechien und zurück

Eiskunstläuferin Annette Dytrt suchte vergeblich das Glück in der Heimat ihrer Eltern – jetzt wurde sie Deutsche Meisterin

Oberstdorf. Die Mama hatte ihr eine Katze gekauft. Die Katze war verschmust und verspielt, und Annette Dytrt bedeutete sie sehr viel. Sie war ja erst 15. Aber sie durfte das Tier nicht behalten, die Trainerin verbot es ihr. Die Katze ist nicht der einzige Grund dafür, dass Annette Dytrt in Oberstdorf Deutsche Meisterin im Eiskunstlauf geworden ist und nicht bei den tschechischen Meisterschaften lief. Und dass sie bei der Europameisterschaft in Malmö Ende Januar für Deutschland läuft und nicht für Tschechien. Und sie jetzt wieder in München und nicht mehr in Prag lebt.

Aber die Katze spielt eine bedeutende Rolle in der ungewöhnlichen Geschichte der Eiskunstläuferin Annette Dytrt. Sie wurde in Landshut geboren. Ihre Eltern sind Tschechen, und Annette hatte den tschechischen Pass. Sie war ein hoffnungsvolles Eiskunstlauftalent, sie trainierte in München, aber sie war nie so gut wie Tanja Szewczenko, damals beste Deutsche. Also ging sie 1998 nach Tschechien, nach Prag. Dort wohnen ihre Oma und ihre Tante. Tschechische Funktionäre hatten sie angesprochen. „Komm zu uns“, sagten sie bei einem internationalen Wettbewerb zu Annette Dytrt, „bei uns bist du die Beste, nicht bloß eine im Schatten von anderen.“ „Papa, ich will unbedingt nach Tschechien“, sagte das Mädchen zu ihrem Vater. Die Eltern willigten ein, schickten aber zur Sicherheit die Schwester mit.

In Prag lebte Annette Dytrt in einem Sportinternat. Sie hatte schnell Erfolge, wurde 1998 Tschechische Meisterin – und hatte Probleme. Ihr Tschechisch reichte für die Schule kaum aus. „Vor allem Geschichte und Mathematik waren sehr schwer und die Lehrer sehr streng", sagt die heute 19-Jährige. Vor allem aber hatte sie eine strenge Trainerin. Die war das eigentliche Problem. So verbot sie Annette den Besuch von Freunden auf ihrem Zimmer im Internat. Mit jeder Anordnung verstärkte sich Annette Dytrts Heimweh. Die Eltern besuchten sie jedes halbe Jahr, kritisierten den harten Umgang, aber es änderte sich nichts. Dann durfte Annette Dytrt ihre Katze nicht behalten. Das gab ihr den Rest. Die Katze war ja nicht bloß ein Tier, sie war so etwas wie ein emotionaler Ersatz für eine einsame Jugendliche. Und 1999 hatte sie nichts mehr, mit dem sie den menschlichen Frust kompensieren konnte. Bis dahin klammerte sie sich an den Erfolg, aber in jenem Jahr durfte sie nicht zur Senioren-Weltmeisterschaft, und bei der Junioren-WM wurde sie nur 17.

Annette Dytrts kam zurück nach München zu ihren Eltern. Sie legte den tschechischen Pass ab, beantragte einen deutschen und startete wieder für Deutschland. 2002 wurde sie schon Vierte der deutschen Meisterschaft. Szewczenko ist als Hindernis für Annette Dytrt längst verschwunden. Die Weltmeisterschafts-Dritte von 1994 spielt jetzt als Schauspielerin in Bonn Theater.

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