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Sport: Eins minus

Arsenal London feiert vorzeitig die englische Meisterschaft – nur Trainer Wenger hält sich raus

London. Als der Champagner über den Rasen spritzte, Arsenals Verteidiger Kolo Toure übermütig Purzelbäume schlug, die französische Fraktion der Londoner zum Can-Can ansetzte und Patrick Vieira nur noch eine knappe Unterhose trug, konnten auch die verschränkten Arme von Trainer Arsène Wenger nicht mehr anders, als langsam in die Luft zu steigen. Ein Lächeln komplettierte die verhaltene Jubelgeste, irgendwie schien ihm diese spontane Meisterfeier beim Lokalrivalen nicht geheuer zu sein.

Sein Team hatte soeben mit dem Punktgewinn in Tottenham drei Spieltage vor Saisonende den englischen Titel gewonnen und damit eine beispiellos gute Spielzeit gekrönt. Doch der Franzose bediente selbst in der Stunde des Triumphes das Klischee vom unterkühlten Fußball-Professor: Die Umarmung seiner erfolgreichen Spieler kostete ihn sichtliche Überwindung, körperliche Nähe sieht sein strenger Lehrplan nicht vor.

Schon nach dem Schlusspfiff war der distanzierte Perfektionist im Gegensatz zu den vor Freude schreienden Kickern nicht in Richtung der Arsenal-Anhänger gelaufen, sondern enttäuscht vom Platz gezogen, weil er von seinen Schützlingen in der Abschlussprüfung mehr als eine Eins minus erwartet hatte – Spurs-Stürmer Robbie Keane hatte mit einem verwandelten Elfmeter in der fünften Minute der Nachspielzeit zum 2:2 ausgeglichen und die Gäste um den Derby-Sieg gebracht. In der Kabine hatte er Sol Campbell angetroffen, der als ehemaliger Spurs-Spieler aus Rücksicht auf die Gefühle der Tottenham-Fans lieber privat feiern wollte, und auch Jens Lehmann hatte sich dort verschanzt – der Torwart ärgerte sich noch über den von ihm verschuldeten, vollkommen überflüssigen Strafstoß, der den Hausherren einen wichtigen Punkt und ein wenig Ehre gerettet hatte.

„Das hat den Start der Feierlichkeiten etwas besudelt“, sagte Wenger später, an einem Glas nippend. „Ist das Champagner?“, wollte jemand im Auditorium wissen. Die Antwort überraschte niemanden: „Nein, nur Wasser. Wir haben ja noch vier Spiele vor uns, und die nehmen wir ernst.“ Kein einziges Match hat seine famose Truppe in dieser Spielzeit bisher verloren. Noch vier weitere Partien ohne Niederlagen, und Arsenal hätte eine sensationelle Serie hingelegt, die es in der Premier League noch nie gegeben hat.

Drei Titel hätten es dieses Jahr für das alles in Grund und Boden spielende Team werden können. Heraus kam nur die Meisterschaft, Wengers dritte in seiner siebten kompletten Saison in Nordlondon. Viermal ist er Zweiter hinter Manchester United geworden. Während in Madrid das Experiment mit den so genannten Galaktischen gescheitert ist, ist im weniger betuchten Highbury die Quadratur des Kreises geglückt – Wenger hat Effizienz und kreative Schönheit, die Gegenpole im modernen Fußball, zu einem Gesamtkunstwerk geformt, „Fußball 3000“ wäre kein schlechter Name dafür. Sein 4-4-2-System spielt die ganze Welt, doch niemand zelebriert schnellen Angriffsfußball derart gekonnt. Beim Spiel von Arsenal ist stets alles im Fluss, alles in Bewegung, Positionen werden nur in der Rückwärtsbewegung gehalten, höhere technische Fähigkeiten und mehr Laufbereitschaft als in Wengers Team wird man lange suchen müssen. Dazu kommen Teamgeist, „Sehnsucht“ (Thierry Henry) und beispielhafte Disziplin – die einst hitzköpfigen Künstler sind zu „eiskalten Champions“ („Daily Telegraph) gereift.

Geschäftsführer David Dein hat dem erfolgreichsten Arsenal-Trainer aller Zeiten einen Vertrag auf Lebenszeit in Aussicht gestellt. Am supermodernen Trainingsgelände sollen demnächst riesige Windbarrieren hochgezogen werden, damit Wenger auch im Winter Taktik üben lassen kann. Die Konkurrenz hat schon jetzt Gänsehaut.

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