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© dpa

Eiskunstlauf: Triumph des Biedermanns

Der große Favorit Jewgeni Pluschenko aus Russland muss sich im Eiskunstlauf dem Amerikaner Evan Lysacek geschlagen geben – und attackiert daraufhin das Wertungssystem.

Es ist ein olympischer Moment der besonderen Art: Das Publikum im Pacific Coliseum von Vancouver wartet auf das Preisrichter-Urteil zu Jewgeni Pluschenkos Kür. Der russische Titelverteidiger, führend nach dem Kurzprogramm, ist als letzter Athlet in der olympischen Konkurrenz angetreten. Sein Lauf war zwar nicht so perfekt, wie man es vom dem sprunggewaltigen Athleten gewohnt ist, beim Dreifach-Axel stand er gefährlich schräg in der Luft, und er musste sein ganzes Können aufwenden, um den Sprung noch abzufangen. Trotzdem stehen die Zeichen auf Sieg. Denn anders als seine Medaillen-Rivalen hat der 27-Jährige einen vierfachen Toeloop sauber gestanden. Und so macht sich das Publikum schon bereit, den neuen und alten Olympia-Champion aus St. Petersburg zu feiern. Doch aus dem einsetzenden Jubel- wird schlagartig ein Entsetzensschrei. Denn auf der Anzeigetafel ist zu lesen: Pluschenko ist geschlagen, er erhält für seine Kür 165,51 Punkte – Platz zwei!

Pluschenkos ohnehin blasses Gesicht wird in diesem Moment einen Ton blasser. Gold gewinnt Evan Lysacek aus den USA. Die Kür des 24-Jährigen wird mit 167,37 Punkten bewertet, damit liegt er in der Endabrechnung mit 257,67 Punkten 1,31 Zähler vor dem Russen (256,36). Rang drei geht an Daisuke Takahashi (247,23), der als erster Eiskunstläufer aus Japan eine olympische Medaille gewinnt. Stefan Lindemann aus Erfurt, WM-Dritter von 2004, landet auf Platz 22. Es war der letzte Wettbewerb seiner Karriere.

Kaum war die Kür beendet, entbrannte auch schon eine heftige Diskussion. Die Fragen des Abends lauteten: Darf ein Eiskunstläufer auf diese Art Olympiasieger werden? Wirft es den Sport nicht zurück, wenn ein Mann, der auf Risiko geht wie Pluschenko, nicht belohnt wird, dafür aber einer, der auf Nummer sicher geht, zum Champion erklärt wird? Müssen vierfache Sprünge nicht dringend mit höherer Punktzahl bewertet werden? Das eigentlich Schockierende an dem Urteil ist nämlich dies: Lysacek siegte nicht etwa aufgrund besserer Programm-Komponenten – da lagen die beiden mit 82,80 Punkten gleichauf – sondern aufgrund der höheren Punktzahl für die Technikelemente (Lysacek: 84:57, Pluschenko: 82:71). Und das war schwer nachvollziehbar.

Zwar lief der Amerikaner eine ansprechende, weitgehend makellose Kür mit ausgefeilten Schrittkombinationen und Übergängen. All sein Können trug Lysacek fast fehlerfrei vor, doch sein Können ist eben limitiert: Sein schwierigster Programmteil war eine Kombination aus dreifachem Lutz und dreifachem Toeloop. Ansonsten war sein Vortrag zu „Sheherazade“ von Rimski-Korsakow elegant, aber auch konventionell, bieder und deshalb etwas langweilig. Pluschenko hingegen, der seine Tango-Kür mit üblich dramatisch-fuchtelnder Gestik untermalte, brachte, obwohl er sichtlich nervös war, mehr Dynamik aufs Eis, und er sprang eine Kombination aus vierfachem und dreifachem Toeloop. Dennoch siegte Lysacek, der sein Glück kaum fassen konnte: „Ein Traum ist wahr geworden, ich habe nicht gedacht, dass ich hier gewinne“, sagte der Weltmeister von 2009.

Pluschenko ist, wie er vor den Spielen oft geäußert hatte, der Meinung, Männer müssten vierfach springen. Dabei blieb er: „Ich dachte, ich hätte gewonnen, aber das ist das neue Wertungssystem. Die Vierfachen zählen nicht mehr. Das ist kein Eiskunstlaufen für Männer, das ist Eistanzen“, sagte er. Und in seinem Gesicht war eine Mischung aus Wut und Ärger zu erkennen. „Ich habe Respekt vor meinen Gegnern, aber ich muss sagen: Vielleicht hat Evan Gold mehr gebraucht als ich, denn ich habe ja schon eine Goldmedaille.“ Dennoch überlegt er, es 2014 nochmal mit seinem zweiten Olympiasieg zu versuchen.

Sein Coach Alexej Mischin kleidete seinen Ärger in heftigere Worte: „So hat man vor 20 Jahren schon gewonnen. Wenn das so weitergeht, kann demnächst bei den Männern auch ein japanisches Mädchen gewinnen.“ Er meinte wohl eine wie Mao Asada, die den dreifachen Axel schon gestanden hat.

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