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Sebastian Deisler galt als eines der größten Talente des deutschen Fußballs.

© dpa/Andy Rain

14 Jahre nach dem Rücktritt: Sebastian Deislers Karriere auf dem Karussell

Sebastian Deisler wollte kein Star sein, aber er sollte. Zu den körperlichen Schmerzen kamen seelische. Vor 14 Jahren beendete der Fußballer seine Karriere. Ein Blick ins Archiv.

Heute vor 14 Jahren verkündete Sebastian Deisler seinen Rücktritt vom Profi-Fußball. Zu diesem Anlass publizieren wir diesen Artikel vom 17.01.2007 erneut.

Auf wen in sich hat Sebastian Deisler am Ende gehört? Auf seine Ängste, seine Qualen, seinen Schmerz? Wenn es so war, hat er auf den Fußballer in sich gehört und sich genau gegen ihn entschieden. Seit gestern gibt es den Fußballer Sebastian Deisler nicht mehr.

Es ist eine traurige, ja tragische Wende in seinem 27 Jahre alten Leben. Und es ist die mutigste Entscheidung von allen. Sebastian Deisler reißt sich ein tiefes Loch ins Herz, um sich wieder selbst zu gehören. Es ist, als öffne sich für ihn ein neuer Horizont. Ein Horizont ohne die alten Ängste, Qualen, ohne Seelenschmerz. Vielleicht werden sich neue Ängste auftun, vielleicht wird er sich diese Entscheidung später noch einmal verzeihen müssen, um ein zufriedenes Leben führen zu können. Im Augenblick ist er erleichtert.

Sebastian Deisler hat die vergangenen fünf Jahre gekämpft, um seinen Weg zu finden, sich dem Fußball, „meinem Spiel“, wie er oft sagte, hinzugeben, ohne dabei unterzugehen. Und er hat gekämpft wie vielleicht kein Zweiter. Auch deshalb ist Deisler damals mit seiner Krankheit in die Öffentlichkeit gegangen. „Depression ist ein hässliches Wort“, sagte er. „Ich möchte das nicht mehr verdrängen. Ich bin krank.“ Deisler sprach mit erstaunlicher Offenheit über die Krankheit, über die man nicht spricht. Zwischen November 2003 und Januar 2004 war er 52 Tage lang therapiert und in der Folgezeit zweimal stationär behandelt worden.

In Gladbach sahen sie in ihm einen neuen Günter Netzer

Sebastian Deisler hat mehr als einen Kampf verloren, er hat seine bisherige Selbstbestimmung verloren. Die hat der Fußballer in ihm bis zuletzt vergebens gesucht.

Mit 15 Jahren war er von Lörrach ins Internat nach Mönchengladbach gegangen. Dort sahen sie in ihm schon einen neuen Günter Netzer. 1998 verglich ihn der Bundestrainer Berti Vogts mit dem Engländer Michael Owen, der gerade eine überragende WM gespielt hatte. Deisler hatte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ein Bundesligaspiel bestritten. Er wechselte zu Hertha BSC und hatte in Berlin auf Anonymität gehofft – eine Illusion, denn sein Image war vor ihm da: „Basti Fantasti“. Aus vielen seiner Äußerungen in jener Zeit und seinem immer schüchterner werdenden Auftreten konnte man schließen, dass er nur der Fußballer sein wollte, nicht der Star, der in der Öffentlichkeit steht. Der Öffentlichkeit war das egal. Sie sah in ihm, was er nie war und auch nicht mehr werden wird: den Heilsbringer des deutschen Fußballs. In Berlin versuchte er sich unkenntlich zu machen. Er trug Schlapphüte. Seine Sprache und Gestik verrieten, wie sehr ihn das alles attackierte. Deislers Körper begann zu streiken.

Er wollte Berlin verlassen, unterrichtete seinen alten Verein. Hertha bat ihn, seine Pläne für sich zu behalten. Das tat er. Bis zum Herbst 2001, als die „Bild“-Zeitung ein Faksimile eines Überweisungsscheins über 20 Millionen Mark auf der Titelseite abdruckte. So viel war dem FC Bayern allein Deislers Wechselabsicht wert. Deisler galt in Berlin als Betrüger. Als ihn 50.000 im Olympiastadion auspfiffen, sagte er nachdenklich: „Ich hätte mich hinstellen und den Fans sagen können: Hey, ihr pfeift den Falschen aus.“

"Mein Körper hat sich Auszeiten genommen"

Zu Beginn seiner Karriere redete Sebastian Deisler gern über Fußball. Er erzählte vom betörenden Geräusch, wenn der Ball an die Torlatte klatscht, und schwärmte von Zinedine Zidane, dem französischen Fußballstar, „der kann den Ball hinter seinem Körper verstecken, einfach so“. Deisler erzählte das mit dem ganzen Körper. Er sagte: „Wenn ich spiele, gebe ich etwas von meiner Seele preis.“

Zuletzt übernahmen andere Stimmen in ihm das Kommando. Zugrunde lagen ganz andere Geräusche, auch diese gehörten zu seiner Karriere. Es war im März 2006, als es nach einem Zusammenprall im Training in seinem rechten Knie krachte. Diese Geräusche sind schlimmer als die Schmerzen. Zwischen 1998 und 2002 musste er mehrmals am rechten Knie operiert werden. Für ihn waren das Signale einer seelischen Beklemmung. „Mein Köper hat sich Auszeiten genommen“, hat er einmal gesagt.

Immer hatte er sich danach wieder herankämpfen können. Auch weil er nach den verpassten Turnieren WM 2002 und EM 2004 ein großes Ziel hatte: die WM 2006 im eigenen Land. Sie sollte seine WM werden. Er wollte endlich zeigen, was er kann, er wollte zeigen, dass es den Patienten Sebastian Deisler nicht mehr gibt. Mit der WM in Deutschland hat er die wesentliche Aussicht verloren. Übrig blieb der Druck, beim FC Bayern, wo er seinen Vertrag bis 2009 verlängert hatte, viel Geld zu verdienen und doch so wenig zurückgeben zu können.

Sein Traum wurde zum Trauma

Sebastian Deisler lebte seit Jahren in einer Parallelwelt, einer außerhalb des Fußballs. Eine Welt mit Frau, Kind und wenigen Vertrauten. Kurz vor der Depression glaubte er noch, das alles auch anders ginge, ohne die Vereinnahmung seiner Person. Er sprach vom Wahnsinn des ganzen Drumherums. „Das ist ein Irrsinn. Wir sitzen alle auf einem Karussell. Und es dreht sich immer schneller.“

Jetzt hat er sich entschieden, dass er das alles nicht mehr durchstehen mag. Wie schwer muss ihm dieser Schritt gefallen sein und wie viel Mut dazu gehört aufzugeben, von seinem Traum zu lassen.

Deutschland hat einen der besten Fußballer verloren, die es je gab. Aber was ist dieser Verlust im Vergleich zu dem, was Sebastian Deisler verloren hat? Vielleicht ist es genau das, was ihn jetzt befreit. Sein Traum war längst zum Trauma, zum Fluch, zur seelischen Last, zur Qual geworden. Er schließt ab mit seiner großen Leidenschaft, um eine neue zu finden. Die wird er so vielleicht nicht finden, aber das Leben für ihn lebenswerter machen.

Sebastian Deisler ist abgestiegen vom Karussell. Er ist ausgestiegen aus der Welt des Fußballs. Ab jetzt gehört Sebastian Deisler sich selbst.

Dieser Text erschien erstmals im Tagesspiegel vom 17. Januar 2007.

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