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Sport: Entspannt ehrgeizig

Lindsay Davenport wollte schon mit dem Tennis aufhören – jetzt ist sie die Favoritin in Filderstadt

Es gab Momente in den vergangenen Monaten, da war Lindsay Davenport auf der Suche nach den Gefühlen, die wie eine Sucht ihr Leben fast 15 Jahre lang bestimmt hatten. Die Tennisspielerin suchte die Hochgefühle nach einem Erfolg, die sie dann möglichst bald wieder erleben wollte. Und sie vermisste auch die Frustration und den Schmerz nach Niederlagen. Siege, so sagte die 29 Jahre alte US-Amerikanerin, machten nicht mehr so viel Spaß wie früher. Und selbst besiegt zu werden, habe viel von seinem einstigen Schrecken verloren. Vor einem Jahr stellte sich dieser Gleichmut ein, mit dem sie ihrem Beruf mit einem Mal begegnete.

Lindsay Davenport begann sich einzureden, nicht mehr gut genug zu sein. Und sie schien sich schon damit abzufinden, denn sie wollte ihre Karriere bald beenden. Doch angekommen im Zustand der Leichtigkeit, entwickelte sich plötzlich neuer Ehrgeiz. Die Davenports, Lindsay und Ehemann Jon Leach, verschoben ihre Familienplanung auf unbestimmte Zeit. Ohne den Druck und ohne die Erwartungen, denen sie vorher ausgesetzt war, wurde Misses Davenport zur Nummer eins der Tennis-Welt. Ihr neuer Ehrgeiz, den sie inzwischen als einen netten Gast betrachtet, ließ sie auch 2005 wieder nach Filderstadt aufbrechen, um beim „Porsche Grand Prix“ anzutreten.

Heute, im Herbst 2005, ist die entspannt ehrgeizige Lindsay Davenport, die laut Turniermagazin am liebsten Kreuzworträtsel löst, die Nummer zwei in der Weltrangliste dieser schnellen Sportart.

Lindsay Davenport ist Titelverteidigerin beim Turnier vor den Toren Stuttgarts. Weil sie deshalb nicht mehr Weltranglistenpunkte als im vergangenen Jahr sammeln kann, hat sie keine Chance, die Russin Maria Scharapowa als Nummer eins abzulösen. Scharapowa fehlt in Filderstadt wegen einer Rückenverletzung, und so ergibt sich für die Belgierin Kim Clijsters die Möglichkeit, unter Umständen an Scharapowa vorbeizuziehen. Die 22 Jahre alte Belgierin kann im Gegensatz zu Davenport neue Punkte für die Rangliste hinzugewinnen, muss jedoch erst am heutigen Donnerstag ihr erstes Match bestreiten. Lindsay Davenport hat das bereits hinter sich. Frisch geduscht und bester Laune erschien sie nach ihrem mühelosen 6:2, 6:2-Erfolg über die Italienerin Francesca Schiavone zur Pressekonferenz. Es sei selten vorgekommen in ihrer Karriere, aber sie fühle sich blendend und sei seit dem Sommer ohne Verletzungen geblieben. „Auch deshalb geht es mir gut“, sagte Davenport. Trotz der Erlebnisse, die seit drei Wochen nicht mehr aus ihrem Kopf gehen.

Vor drei Wochen gewann sie ein Turnier auf Bali. Kurze Zeit später passierten auf der Ferieninsel die blutigen Anschläge mit vielen Todesopfern. „Knapp 100 Meter von meinem Hotel entfernt ging eine Bombe hoch, an diesem Restaurant bin ich immer vorbeigelaufen. Es war schrecklich, davon zu erfahren. Ich habe gleich E-Mails an zwei Fahrer geschrieben, deren Adressen ich hatte“, erzählte sie. „Es ist manchmal schwierig, all das zu verstehen, es macht einen traurig.“ Diese traurigen Gedanken konnte sie zumindest auf dem Centre-Court bei ihrem ersten Auftritt in Filderstadt verdrängen. „Wenn ich gut aufschlage, dann ist es schwer, mir das Service abzunehmen. Das ist ein gutes Gefühl, vor allem, weil es mein erstes Spiel in der Halle war“, sagte Davenport und verkündete gleichzeitig, auch 2006 auf die Tennis-Tour zu gehen. Dann wird Davenport auch wieder beim „Porsche Grand Prix“ auftauchen. Das Turnier findet dann allerdings in der neuen Ballsport-Arena in Stuttgart statt, die zwischen Daimlerstadion und Schleyerhalle entsteht.

Die Porsche AG erwirbt für 20 Jahre die Namensrechte an der Arena und zahlt zehn Millionen Euro dafür. Deshalb gilt der Umzug des Turniers aus Filderstadt nach Bad Cannstatt nach 29 Jahren als sicher. Turnierdirektor Markus Günthardt hat schon konkrete Pläne, um aus der beschaulichen Veranstaltung ein modernes Event zu machen. Lindsay Davenport wird auch diesen Wandel noch mitmachen. Dann vielleicht wirklich zum letzten Mal. „Ich mache mir darüber im Augenblick wirklich keine Gedanken. Ich lasse das einfach auf mich zukommen“, sagte Davenport. Bisher schien das genau das richtige Rezept, um das Gefühl des Sieges zu spüren.

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