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Sport: „Er war unglaublich schwer zu schlagen“

Teamkollegen und Rivalen sprechen über den Piloten, dem sie die meiste Zeit hinterherfahren mussten

Nach 15 Jahren Formel 1 greift Michael Schumacher am Sonntag (19 Uhr/live bei RTL und Premiere) in Interlagos ein letztes Mal nach dem Titel. Weggefährten, Rivalen und Teammitglieder äußern ihre Gedanken zum Rekordweltmeister.

Nelson Piquet (54), Weltmeister 1981, 1983 und 1987 und Schumachers Teamkollege bei Benetton 1991:

Ich war 1991 schon ziemlich am Ende meiner Karriere, und da kam Michael, mit all seiner jugendlichen Fitness und seinem Erfolgswillen. Michael war noch ein sehr junger Fahrer, ich in meinem letzten Jahr. Er war schon damals sehr, sehr schnell, und ich habe gemerkt, dass für mich bald die Zeit gekommen sein wird, wo ich den Jungen mit ihrem Willen und ihrer Risikobereitschaft nichts mehr entgegenzusetzen habe. Es hat trotzdem Spaß gemacht, sein Teamkollege zu sein. Danach dann seine lange Karriere zu beobachten, was er aus seinem Talent gemacht hat, was er alles erreicht hat, das war toll – und ich freue mich auch, dass ich jetzt bei seinem letzten Rennen dabei bin. Er hatte eine perfekte Karriere; sein Siegeswille war enorm, dem hat er alles untergeordnet. Natürlich hat er dabei auch ab und zu einmal einen Fehler gemacht, aber schließlich ist er auch nur ein Mensch, und Menschen machen eben manchmal Fehler.

Felipe Massa (25), Schumachers Teamkollege bei Ferrari 2006:

Für mich ist er ein Genie der Rennstrecke, der kompletteste Fahrer. Es gibt viele Piloten, die auf einem Gebiet besonders herausragend sind. Entweder sie sind besonders schnell oder sie sind technisch besonders gut. Michael hat all das zusammen, er ist der Beste auf allen Gebieten. Was mich besonders beeindruckt, ist seine Übersicht im Rennen. Er weiß ganz genau, was er wann tun muss, zum Beispiel vor einem Boxenstopp noch ein paar Zehntel herauszuholen – und kann das dann auch umsetzen. Diese schwierigen Rennsituationen sind die Momente, in denen er sich wirklich von anderen unterscheidet. Obwohl ich leider nie die Chance hatte, mit Ayrton Senna zusammenzuarbeiten, glaube ich, dass beide die gleichen Qualitäten hatten. Senna hatte halt nur leider eine kürzere Karriere. Ich bin überzeugt, dass sie die beiden unglaublichsten Fahrer in der Geschichte der Formel 1 waren.

Damon Hill (46), Weltmeister 1996:

Ich hatte das Glück, gegen die größten Rennfahrer kämpfen zu dürfen. Ich kann meinen Enkeln sagen, ich bin gegen Ayrton Senna, Alain Prost und Nigel Mansell gefahren. Und natürlich gegen Michael. Wenn es um die schiere Anzahl an Siegen geht, ist Michael sicher der Größte von allen. Er hat ein bemerkenswertes Talent und ist wahrscheinlich der kompletteste Fahrer in der Geschichte der Formel 1. Michael war so hart zu schlagen, es ist unglaublich. Größe beinhaltet aber auch eine Verantwortung für den Sport, den man betreibt. Es gab da gewisse Kontroversen bezüglich Michaels Taktiken. Man wusste einfach irgendwann, dass er auch nicht davor zurückschrecken würde, dir ins Auto zu fahren, wenn das der einzige Weg war, dich zu stoppen – so wie mir 1994 in Adelaide. Um jeden Preis zu gewinnen, ist kein Sport.

Michael hat niemals wirklich seine Meinung zum Sport geäußert. Er hat sich nicht an Diskussionen beteiligt, hat geschwiegen, als er mit seinen Taktiken konfrontiert wurde und lieber andere entscheiden lassen. Für mich sind das Aspekte, die dagegen sprechen, dass er der größte Rennfahrer aller Zeiten ist. Menschen wie Senna, Stewart, Prost und Mansell wussten, was sie dachten und sagten. Für mich beinhaltet die Bezeichnung „der Größte“, dass man auch seinen Platz im Zusammenspiel der Dinge versteht.

Ich denke, im Sport geht es um Können und Talent, und beides hatte Michael ohne Zweifel. Aber es geht auch um Sportsgeist und darum, keine falsche Einstellung zu verbreiten. Michael hat alles bis ans Limit gebracht, das unterscheidet ihn von früheren Champions. Ich denke, er ist einfach ein Produkt seiner Zeit.

Michael hat Fehler gemacht, sie aber niemals zugegeben. Ich denke, wenn man Perfektion anstrebt wie er, darf man sich sein Versagen wohl nicht eingestehen. Ich würde niemals behaupten, ich sei perfekt, aber ich denke, Michael hat sich zu oft selbst kompromittiert. Und das ist eine Schande, denn seine wahre Persönlichkeit ist ganz anders. Ich habe ihn auch einige Male abseits der Strecke getroffen. Als ich schon zurückgetreten war, habe ich ihn einmal interviewt, und er war total entspannt, charmant und freundlich – ein netter Kerl eben. Es hätte bestimmt weniger Kritik an ihm gegeben, wenn er öffentlich hin und wieder gezeigt hätte, dass er auch nur ein menschliches Wesen ist.

Ich hege keinerlei persönliche Animositäten gegen Michael. Ich werde mir auch sein letztes Rennen angucken, wenn ich Zeit habe. Wenn man einen Sport gemeinsam betreibt, verbindet einen etwas, denn ohne den Gegner wäre es bedeutungslos. Es wäre schön, mal mit einem gewissen Abstand mit ihm über all das zu reden. Meine Tür ist jedenfalls immer offen. Allerdings glaube ich nicht, dass ich eine Einladung zu seiner Abschiedsparty kriegen werde.

Mika Häkkinen (38), Weltmeister 1998 und 1999:

Unsere Duelle waren immer hart, aber fair. Es wurde nie hässlich, und wenn wir irgendein Problem hatten, haben wir das nüchtern geklärt. Wir haben uns gegenseitig immer weiter nach vorne getrieben, und ihn zu schlagen, war schon etwas Besonderes. Michael hatte nie schlechte Tage – er war immer da, und er war immer schnell. Ich bin sicher, dass Michael irgendwann auf die eine oder andere Art zurückkommen wird. Das Rennfahren liegt uns allen doch im Blut, wir lieben die Rennen, wir lieben es, Auto zu fahren. Selbst mit einem normalen Straßenauto macht mir das einfach Spaß. Er wird merken: Nach dem Rücktritt ist plötzlich ein Loch da, wo früher der Mittelpunkt seines Lebens war. Das ist so etwas wie ein freier Fall.

Jacques Villeneuve (35), Weltmeister 1997:

Michael Schumacher ist kein Held und wird nie einer sein. Er ist ein Rennfahrer, mehr nicht. Das Problem ist, dass niemand seine wirkliche Persönlichkeit kennt, und ich bin sicher, dass er nach seinem Rücktritt ziemlich schnell vergessen sein wird. Frühere Champions wie Senna, Prost oder Mansell haben eine Reputation, die Schumacher niemals haben wird. Der Grund sind die vielen schmutzigen Aktionen im Laufe seiner Karriere. An die erinnert man sich nämlich genauso wie an seine Siege. Natürlich ist das auch beispielsweise bei Senna mal vorgekommen, aber er hat mit viel mehr Klasse und Stil reagiert. Er war ehrlich und hat nach seinem Rammstoß gegen Prost in Suzuka 1990 zugegeben, dass es Absicht war – er hatte es im Prinzip sogar vorher angekündigt. Senna hat auch den Fans gegenüber nie gelogen, Schumacher schon. Nach seiner Streckenblockade in Monaco in diesem Jahr hat er sogar gegenüber den anderen Fahrern, seinen Kollegen, die Unwahrheit gesagt und uns dabei noch ganz offen in die Augen geschaut. Ich glaube, sein Verhalten kommt daher, dass er glaubt, etwas Besseres als alle anderen im Rennsport zu sein. Aber das ist er nicht.

Rubens Barrichello (34), Schumachers Teamkollege 2000 bis 2005:

An die Zeit mit Michael habe ich keine schlechten Erinnerungen. Er hat seine Ziele verfolgt, ich meine. Michael hat zwar manchmal dumme Sachen gemacht, aber er ist trotzdem sehr wichtig für die Formel 1 gewesen. Dass die Dinge bei Ferrari zu seinen Gunsten liefen, hat aber nichts mit Manipulation von ihm zu tun, sondern das waren politische Angelegenheiten des Teams. Wir hatten zwar immer das gleiche Auto, aber die ganze Mannschaft war um Michael herum aufgebaut. Ich konnte oft nicht das tun, was ich wollte. Deshalb habe ich mich entschieden, Ferrari vor meinem Vertragsende zu verlassen. Und auch wenn viele meinen, dass damals die Vorfälle von Monaco und Indianapolis 2005 (zwei kompromisslose Überholmanöver Schumachers, d. Red.) ausschlaggebend waren – in Wirklichkeit war Michael total überrascht, als ich ihm eröffnet habe, dass ich das Team verlasse. Wir können uns heute immer noch gut unterhalten. Wenn wir uns sehen, dann reden wir über unsere Familien und die Kinder, aber wir schreiben uns keine Weihnachtskarten und rufen uns auch nicht an. Andererseits – wer im Formel-1-Fahrerlager macht das schon?

Aufgezeichnet von Christian Hönicke und Karin Sturm.

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