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Sport: Erst jetzt geht’s los

Die Nationalelf wird euphorisch gefeiert, doch Spieler und Trainer wissen: Noch ist nicht viel geschafft

Berlin – Plötzlich kickte Joachim Löw einen durchsichtigen Luftballon in die Höhe. Nicht, dass den 46 Jahre alten Bundestrainerassistenten pure Langeweile überkommen hätte, doch das eigentliche WM-Spiel, dass sich vor seinen Augen abspielte, war längst entschieden. 3:0 führte die deutsche Nationalmannschaft gegen Ekuador, als vom Rang des voll besetzten Berliner Olympiastadions ein Luftballon auf die blaue Tartanbahn fiel. Weil aber laut Spieldurchführungsbestimmung der Fifa nicht sein kann, dass ein Trainer einer am Spiel beteiligten Mannschaft am Spielfeldrand mit einem Luftballon jongliert, wurde der Luftballon von einem Gesandten des Weltfußballverbandes humorlos eingezogen. Das war’s dann.

Vielleicht war es ja ein ungewolltes Signal von oben, wonach es für die deutsche Delegation von nun an vorbei ist mit der Leichtigkeit. Man könnte das rigide Eingreifen der Fifa aber auch als eine für sie nicht untypische Übertriebenheit interpretieren. Wie anders ist beispielsweise das Statement ihres höchsten Repräsentanten zu verstehen: „Der nächste Gegner wird Angst haben vor dieser deutschen Mannschaft“, sagte Joseph S. Blatter eine halbe Stunde nach dem sommerlichen Kick gegen die Südamerikaner, „ich weiß nicht, wie man diese Mannschaft aufhalten soll.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Wahrnehmung des Gespanns Klinsmann/Löw wieder geschärft. Mannschaft und Betreuerstab hätten sich kurz gefreut über das problemlose Spiel und den Gruppensieg, aber man wisse sehr wohl, „dass das kein Maßstab war“, wie es der Bundestrainer sagte. Wenn seine Mannschaft am Samstag im Achtelfinale in München auf Schweden trifft, dann „beginnt die wahre WM“.

Im Prinzip hat die deutsche Mannschaft mit dem Gruppensieg und der komplikationsfreien Achtelfinal-Qualifikation genau das eingelöst, was die WM-Auslosung vor einem halben Jahr versprach. Für die Mehrheit der Deutschen, damals noch bar jener an Raserei grenzenden Euphorie von heute, hatte das eigene Team die leichteste aller Vorrundengruppen erwischt. Das soll die „teilweise beeindruckenden“ (Klinsmann) Vorstellungen der Mannschaft keinesfalls schmälern. Noch aber hat die Mannschaft keine Gelegenheit gehabt, zu zeigen, wie titeltauglich sie tatsächlich ist. „Jetzt geht es bei null los“, sagte etwa Miroslav Klose, der mit seinen vier Treffern einen großen Anteil am Zwischenerfolg der Deutschen hat.

Die Mannschaft hat sich nach drei Siegen in drei Spielen, davon zwei ohne Gegentor, Respekt verschafft. „Daran haben wir knapp zwei Jahre gearbeitet“, sagt Klinsmann. „Jetzt hat man uns wieder auf der Rechnung.“ Das ist – eingedenk der Ausgangslage des Sommers 2004 – allerhand. Und das weckt Begehrlichkeiten. „Die Mannschaft wird immer hungriger“, sagt der Bundestrainer, das deutsche Publikum aber auch. Jeden Tag wächst es, und es fehlt nicht mehr viel, bis sich auch der letzte Fan wie ein Champion fühlt.

Jürgen Klinsmann schließt innerhalb der Mannschaft jede Form von Überheblichkeit aus. „Wir sind als Mannschaft gewachsen“, sagt er, „aber wir wissen auch, dass jetzt die Brocken kommen.“ Wie gut, dass sich die Mannschaft „in einem körperlichen Top-Zustand“ befindet, wie Bernd Schneider sagt. Man habe sich Selbstvertrauen geholt. Diese Grundvoraussetzung speist sich aus einer gereiften Spielorganisation auf dem Platz und einer Teamarbeit, die vorbildlich ist. „Um das ganz große Ziel zu erreichen, müssen wir alle über unsere Möglichkeiten hinausgehen können“, hatte Löw vor der WM gesagt. Bisher bewegt sich die Mannschaft innerhalb ihrer Möglichkeiten. Spieler wie Bastian Schweinsteiger, Torsten Frings oder Schneider nähern sich ihrer Bestform. Und das Sturmduo um den derzeit famosen Klose trifft. Selbst der deutschen Defensive darf attestiert werden, dass sie sich im Rahmen der Löw’schen Nachschulung taktisch weitergebildet hat. Und so wirkt auch das mannschaftliche Gesamtgerüst stabiler als noch vor Wochen, als es von den Italienern spielend auseinander genommen worden war. Selbst wenn diesem Zweck ein Teil der Torgefährlichkeit Michael Ballacks geopfert wurde, sei es besser, „wenn die Mannschaft weiß: Wir stehen gut“, sagt der Mannschaftskapitän.

Tatsächlich hat sich bei den Spielern der Glaube an die eigene Stärke, an die eigenen Möglichkeiten verfestigt. Eine ernsthafte Prüfung werden die Schweden vornehmen. „Jetzt wird es schwer, Tore zu schießen“, sagt Klinsmann, deshalb sei er froh, dass Klose in der Form seines Lebens zu sein scheint. Seine Mitspieler aber dürfen nicht weit abfallen. „Wenn wir in der K.-o.-Runde zwei oder drei Ausfälle haben, werden wir es nicht schaffen“, sagte Löw.

Jürgen Klinsmann wird seine Mannschaft jetzt mit hoher Intensität weitertrainieren lassen. Klinsmann ist der Überzeugung, dass die Deutschen von ihrer Mentalität her so spielen, wie sie trainieren. Und es gibt noch einen ganz pragmatischen Grund. Reges Training fördert nicht nur die körperliche, sondern auch die mentale Verfassung. Nur von einem Stilmittel, das seine Arbeitsmelodie wie ein Refrain unterlegte, wird Jürgen Klinsmann sich verabschieden müssen: Jeder darf Fehler machen. Das könnte sich am Samstag rächen. „Jeder Fehler kann jetzt das Ausscheiden bedeuten“, sagt Michael Ballack. Spätestens dann wäre es mit der Leichtigkeit dahin.

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