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Hertha BSC Berlin - FC Schalke 04 0:0

© dpa

Es geht um viel: Hertha BSC: Jubel oder Jammer

Die Spieler bleiben wortlos. Öffentlich reden möchte keiner; die Enttäuschung sitzt tief. Wegen der vertanen Titelchance kann Hertha sich nicht entscheiden, wie sie sich fühlen soll. Trotzdem geht es noch um viel: die Champions-League-Qualifikation.

Berlin - Das Olympiastadion liegt geduckt unter dem Dunkel der Nacht. In dieser Nacht aber, in der ein Traum zerplatzte, scheint es, als hätte sich die riesige Schüssel noch ein wenig mehr geduckt. Das verspielte Spiel gegen Schalke ist jetzt drei mal 90 Minuten her. Die Umläufe des Stadions sind dezent beleuchtet, ebenso die Olympischen Ringe hoch über dem Haupttor. Die 74 000 Zuschauer sind längst in alle Himmelsrichtungen zerstoben, nach Reinickendorf und Spandau, nach Perleberg und Neuruppin. Die Menschen haben ihre Trauer mitgenommen, ihren Frust ließen sie zurück. Die BSR ist noch nicht da. Dem Müll ist anzusehen, wie das Spiel ausgegangen ist. Die Plastikbecher sind zerborsten. Spuren des Freibiers vom Sponsor und der Enttäuschung der Fans.

Vor dem Osttor steht ein gelber Sightseeing-Bus. Niemand steigt aus, niemand steigt ein. Die Sensation ist ausgeblieben. Am Südtor, dem zweiten großen Zugang zum Olympiastadion, stehen eine Handvoll Taxen, sie warten auf die restlichen Vips. 150 Meter die Flatowallee abwärts brummt es – im preußischen Landwirtshaus. Der Garten ist voll, einige der Gäste sind es auch. Es wird diskutiert und gejammert, getröstet und getrauert. Auf dem Grill liegen noch Würste. Der Traum von der Meisterschaft seit 78 Jahren ist verglüht.

Viereinhalb Stunden zurück: Es laufen die letzten Spielminuten. Hertha wankt dahin. Es fehlt die entscheidende Idee, der finale Pass, das eine Tor. Außer Jaroslav Drobny im Tor hält niemand seine Position. Eine klare Chance wird es nicht mehr geben. Der Glaube an das scheinbar Unmögliche weicht, und mit ihm schwinden Kraft und Kreativität. Haben die vielen Wolfsburger Tore, die über die Anzeigetafel flimmerten, etwas damit zu tun? Bei Hertha spielt keiner so, wie er soll und kann. Trainer Lucien Favre brüllt, keiner hört. Das Spiel plätschert dem 0:0 entgegen. Schluss. Aus. Sense.

Es kommen laue Pfiffe vom Rang. Sie verstummen. Die Spieler lassen ihre Köpfe hängen, mancher sinkt zu Boden. Irgendjemand bringt ein riesiges Plakat auf den Platz. „Danke für 17 Mal Gänsehaut“. Die Spieler fassen zu. Die Mannschaft steht aufgefädelt hinter dem Plakat, sie dreht sich dreimal im Kreis. Dann legt sie das Plakat wieder ab. Ein paar Hände rühren sich zum Applaus. Für ein paar Minuten wirkt es so, als wüsste das Publikum nicht so recht, wie es sich entscheiden soll: Jammer oder Jubel?

Den Spielern steht die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Doch noch einmal raffen sie sich auf. Zu einer halben Stadionrunde. Auf der blauen Bahn trotten sie matt-klatschend die Gegengerade ab. Dann geht es in die Ostkurve. Kapitän Arne Friedrich, der nicht gespielt hat, sagt ein paar nette Worte. Er dankt den Fans: „Lasst die Köpfe nicht hängen. Dann werden wir eben nächstes Jahr Meister.“ Dann spricht Marko Pantelic. Der Rest der Mannschaft ist längst auf dem Weg in die Kabine.

Andrej Woronin, den der Trainer eine Stunde lang draußen gelassen hatte, ist aufgebracht. „Mit 30 Prozent Ballbesitz kann man nicht Meister werden und sich nicht für die Champions League qualifizieren. Wir müssen offensiver spielen“, dröhnt der Stürmer. Auch Manager Dieter Hoeneß hat sich inzwischen Luft verschafft. „Nach dem Seitenwechsel hat mir das Feuer gefehlt.“

Was bleibt? Stimmungsschwankungen. „Klar, wir sind sehr enttäuscht“, sagt Lucien Favre am Tag danach. „Wir müssen jetzt positiv denken“, fordert der Trainer, nachdem sich der Schweizer nochmal die verpassten Chancen auf DVD angesehen hatte. „Wir wollen und müssen in Karlsruhe gewinnen. Das wird eine große Herausforderung.“

Die Spieler bleiben wortlos. Auf dem Trainingsplatz verrichten sie ihre normale Arbeit. Öffentlich reden möchte keiner; die Enttäuschung sitzt tief. Vor dem Training hat Favre eine kleine Ansprache gehalten. Eine Minute hat sie gedauert. „Wir haben schnell gesprochen“, sagt er. „Die Meisterschaft ist nicht mehr unsere Sache. Jetzt müssen wir sehen, dass wir immer noch etwas Besonderes schaffen können. Ich bin sofort wieder positiv.“ Die Spieler, glaubt der Trainer, werden bis Dienstag brauchen, um diesen Zustand zu erreichen. „Sie wissen, um was es noch geht.“

Ein Sieg zum Saisonabschluss in Karlsruhe würde dem auf Rang vier gefallenen Berliner Bundesligisten am Saisonende mindestens die Play-off-Spiele zur Champions League ermöglichen, da sich die Bayern und die Stuttgarter als jetzige Zweite und Dritte am letzten Spieltag die Punkte gegenseitig abknöpfen werden. Hertha könnte sogar noch Platz zwei erreichen, was die direkte Teilnahme an der Champions League nach sich zöge. „Wir können eine fantastische Saison abrunden“, sagt Favre. Hören mag das an diesem Sonntag keiner gern.

Wie Hertha die neue Saison plant: S. 2

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