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Vor dem Start ein Schläfchen. Niko Johann rauscht mit 100 Km/h den Eiskanal hinunter.

© IBSF/ Girts Kehris

Para-Bobpilot Niko Johann im Interview: „Es hat direkt gefetzt“

Para-Bob wartet darauf, ins Programm der Paralympics aufgenommen zu werden. Der querschnittgelähmte Pilot Niko Johann über hohe Geschwindigkeiten, Perfektion und Nickerchen vor dem Start.

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Herr Johann, Sie sind der erfolgreichste deutsche Para-Bob-Athlet. Was ist Ihr Ritual vor einem Wettkampf?

Ich klettere immer relativ früh in den Bob und mache da ein Nickerchen. Wenn ich dann merke, dass es ruckelt und ich in Startposition gebracht werde, mache ich etwa eine Minute vorher die Augen auf und komme dann aus der Ruhephase direkt ins Adrenalin. Das setzt ganz andere Urinstinkte frei und bringt ein Höchstmaß an Konzentration.

Es war schon mal geplant, dass Ihre Sportart zu den Winterspielen in Peking ins paralympisch Programm aufgenommen wird. Auch 2026 wird es nicht klappen. Wie trainiert es sich da?

Das nagt an einem. Wir haben vom IPC Vorgaben erhalten, die wir erreichen mussten – und das auch regelmäßig getan haben. Hier geht es zum Beispiel um die generelle Nationenanzahl und die Anzahl an Sportlerinnen und Sportler. Während eines Meetings hat das IPC das Reglement dann nochmal geändert und die Mindestanzahl hochgesetzt. Also weitere vier Jahre warten. Das ist unter aller Kanone, wenn man sich überlegt, wie viele Millionen Euro in den Jahren schon geflossen sind und was Menschen alles möglich machen, um den Sport auszuüben. Da ist weder Transparenz noch Zuverlässigkeit vorhanden.

Wenn man nicht auf die Paralympics hintrainieren kann – was sind dann die Ziele?

Ich finde, dass Paralympics nicht alles sind. Gerade durch das, was aktuell in der Welt passiert, stehen die Paralympics und Olympia in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht mehr so hoch im Kurs. Von den Spielen abgesehen, haben wir auch eine breit aufgestellte internationale Rennserie und können vielleicht bald deutsche Meisterschaften ausrichten. Da passiert sehr viel.

Was fasziniert Sie am Bobsport?

Die Geschwindigkeit. Es ist ein super geiles Gefühl, wenn man mit über 100 km/h in eine Kurve hineinrast und es dich einfach nur massiv in den Sessel drückt. Es ist auch cool, senkrecht an der Wand zu stehen. Und einfach die Perfektion. Es geht wirklich um Millimeter und allerhöchste Konzentration.

Bei diesem Tempo ... was geht Ihnen da durch den Kopf?

Gar nichts. Da ist die komplette Ruhe in mir, keine Gedanken, man ist im Hier und Jetzt, hundert Prozent Konzentration, die man sonst im Alltag eigentlich kaum abrufen kann.

Fokus und Konzentration sind also der Schlüssel zum Erfolg?

Ja. Im Kopf muss man schon eine Kurve weiter sein. Die Strecke muss man auswendig können, bei jeder Kurve wissen, in welche Richtung sie geht, wo die Druck- und Lenkpunkte sind. Wenn man nur reaktionär unterwegs ist, dann kommt man vielleicht unten an, aber mit keiner besonders guten Zeit. Und die Schultern werden schmerzen, durch eine Menge Bandenkontakt.

Wie gefährlich ist Bobfahren?

Beim Skifahren habe ich einige Verletzungen wegstecken müssen, wenn man aber im Bob sitzt, dann ist man darin relativ sicher. Mit dem Parakit, den zwei Flossen, die hinten am Bob hochgehen, ist man auch besser geschützt, falls sich der Bob auf‘s Dach legt. Dann wartet man bis man zum Stehen kommt, krabbelt raus und sagt: Hey, Leute, alles ok. Mehr passiert in der Regel nicht. 

Niko Johann (rechts) startet die Saison über bei Weltcups. In Deutschland gibt es bald die ersten Meisterschaften.
Niko Johann (rechts) startet die Saison über bei Weltcups. In Deutschland gibt es bald die ersten Meisterschaften.

© IBSF/ Girts Kehris

Sie fuhren erst Motocross und Mountainbike, dann Monoski, bis Sie zum Bobsport gekommen sind.

Genau, da fing die Diskussion an, dass Para-Bob paralympisch werden soll. Seit Jahren gab es schon die Worldcups und andere Wettkämpfe, aber Deutschland war nie vertreten. Und mit Deutschland als Bobnation Nummer Eins war man da im Zugzwang. In anderen Wintersportdisziplinen wurde dann geguckt, wo es Leute gibt, die speed-affin sind. Ich wurde angefragt, hab’s ausprobiert und es hat direkt gefetzt. Ich bin dabei geblieben und der erste deutsche Para-Bobathlet geworden.

Wie werden die Wettkämpfe vergleichbar gemacht?

Der Bob wird vom internationalen Verband gestellt. Das ist der große Unterschied zu den abled bodies. Sonst fährt jede Nation die eigenen Bobs und es kommt immer wieder zu Diskussionen, bei denen sich gerechtfertigt werden muss, dass ein Sieg durch die Fahrweise und nicht das Material errungen wurde. Unsere Bobs aber sind alle identisch, wir haben die gleichen Chancen, werden mit der gleichen Geschwindigkeit auf die Strecke geschickt. Es gibt eine Gewichtsgrenze und wenn jemand zu leicht sein sollte, wird Zusatzgewicht in den Bob gepackt. Dadurch wurde meines Erachtens eine der fairsten Sportarten geschaffen. 

Wie trainieren Sie, wenn Sie nicht gerade in Oberhof sein können?

Ich mache viel Kraft- und Mentaltraining, lerne die Strecken auswendig und schaue mir Videos aus der Perspektive der Fahrer an. Denn so eine richtige Bobtrainingseinheit geht richtig ins Geld.

Warum?

Allein das ganze Material ist sehr teuer. Und es braucht ein großes Helferteam, um den Bob unten von der Strecke zu holen, auf den LKW zu verladen, alles wieder hochzufahren. Da müssen dann wieder welche sein, abladen und in Position bringen. In Oberhof haben wir dafür die optimalen Bedingungen.

Also wird bobspezifisch nur im Trainingslager trainiert?

Genau. In der Regel fahren wir für Wochenendblöcke nach Oberhof, sobald es dort vereist ist. Bis zu neun Fahrten machen wir dann am Tag, das ist echt viel. Vor den Worldcups haben wir auch immer drei bis vier Tage Blocktraining. Manchmal gibt es zwischendurch die Möglichkeit für internationale Trainingswochen. Das ist aber sehr kostenintensiv und zeitaufwendig. Wir sind alle keine Profisportler, die davon leben können.

Sie haben das aber mal probiert, oder?

Ja, beim Skifahren, und ich bin grandios gescheitert. Das ist im Behindertensport ja eh ein schwieriges Thema.

Färbt der Erfolg der olympischen Bobsportlerinnen und -sportler aus Deutschland auf die Para-Sportszene ab?

Das würde ich mir wünschen, ist aber nicht wirklich so bisher. Wir sind mit im Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD) und der hat seine Verbandssponsoren. Da fließt natürlich eine Menge Geld, wovon wir auch profitieren. Der BSD ist unser größter Förderer, da sonst nur paralympische Sportarten wirklich unterstützt werden. Aber diesen Status zu erreichen ist schwierig, wenn alles vorher finanziell versiegt. Es ist aber auch unfair zu sagen, der BSD gäbe nicht genug Geld, er gibt, was er entbehren kann, wird da aber mit dem Thema Inklusion alleine gelassen. Trotzdem sind wir von Saison zu Saison immer massiv am rechnen.

Ändert sich das, wenn der Bobsport paralympisch wird?

Definitiv, denn dann hätten wir auch Anspruch auf unsere Sportförderung.

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