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Sport: Europas Entwicklungslabor

Der Uefa-Cup ist viel besser als sein Ruf – das beweist der FC Sevilla mit seinem zukunftsträchtigen Team

José Luis Martí war gerade Uefa-Cup-Sieger geworden, als er noch einen letzten Zweikampf ausfechten musste. Der Mittelfeldspieler des FC Sevilla rangelte um den Spielball, er zog und zerrte. Vergeblich. Herbert Fandel, der Schiedsrichter aus Deutschland, verteidigte den Ball erfolgreich gegen den Angriff des Spaniers. So viel Behauptungswillen war den Spielern des FC Sevilla an diesem Abend nicht oft begegnet. Als Fandel das Endspiel von Eindhoven abpfiff und anschließend den Ball in seine Obhut nahm, beglaubigte er den höchsten Finalsieg, seitdem der Uefa-Cup-Sieger nicht mehr in Hin- und Rückspiel ermittelt wird, also seit 1998. 4:0 (1:0) hatte der FC Sevilla gegen den FC Middlesbrough gewonnen, und einzig der Ruf des englischen Klubs, längst verloren scheinende Spiele noch wenden zu können, hatte dem Finale in der zweiten Halbzeit noch Spannung gelassen. „Sevilla hat eine gute Mannschaft“, sagte Trainer Steve McClaren. „Aber sie waren nicht vier Tore besser.“ Vermutlich hat McClaren Recht. Zwischen Sevilla und Middlesbrough liegen Welten.

Mag sein, dass der Kraftfußball der Engländer an einem magischen Abend auch für Sevilla reichen kann; an diesem Abend aber wirkte Middlesbroughs Spiel seltsam ziellos. Selbst in der zweiten Halbzeit, in der die Engländer dem 0:1 hinterherliefen, schossen sie nur fünfmal aufs Tor, die Spanier zwölfmal. „Sevilla war die beste Mannschaft, gegen die wir in diesem Wettbewerb gespielt haben“, sagte McClaren. Um die Qualität des neuen Uefa-Cup-Siegers ermessen zu können, muss man sich nur die Entstehung des ersten Tores anschauen, vor allem die Entstehungsgeschichte, die Alves’ Flanke aus dem Halbfeld und Fabianos Kopfball an den Innenpfosten vorausging: wie der Ball, ehe er bei Alves landet, beim Angriff durch das Mittelfeld zweimal nach hinten gepasst wird und dabei trotzdem die perfekte Illusion eines zielgerichteten Spiels nach vorne entsteht.

Der Uefa-Cup ist in den vergangenen Jahren immer mehr zu einer Art Entwicklungslabor für technisch und taktisch anspruchsvollen Fußball geworden. Völlig zu Unrecht gilt der Wettbewerb weiterhin als Abfallprodukt der Champions League, in Wirklichkeit ist er die perfekte Vorbereitung auf die Champions League. Prominentestes Beispiel ist der FC Porto, der 2003 den Uefa-Cup gewann und ein Jahr später die Champions League. Aber auch der Vorjahressieger ZSKA Moskau, der AZ Alkmaar oder die beiden Bukarester Klubs Steaua und Rapid stehen für die neue Qualität des Wettbewerbs. Und natürlich der FC Sevilla. „Dieser Sieg könnte der Anfang einer kontinuierlichen Entwicklung sein“, sagte Sevillas Trainer Juan de Ramos nach dem Finale von Eindhoven. Ramos verfügt über einen Kader mit vielen individuellen Begabungen. An diesem Abend aber gewann der Klub aus Andalusien, weil jeder Einzelne sich dem übergeordneten Organisationsprinzip unterwarf, ohne sich und die eigenen Stärken dabei zu verleugnen. Bester Spieler der Spanier war Daniel Alves – der rechte Außenverteidiger. Middlesbrough hingegen suchte in seiner Verzweiflung immer wieder den brasilianischen Spielmacher Fabio Rochemback, der den Ball dann im Mittelfeld von der einen Seite des Niemandslandes auf die andere schleppte und ihn schließlich verlor. Mit dem Gewinn des Titels hat der FC Sevilla die bescheidene, aber feine Erfolgsgeschichte des Uefa-Cups fortgeschrieben.

Der kleinere der beiden Europapokalwettbewerbe ist von der Uefa vorsätzlich dem Verfall preisgegeben worden, er leidet – als Folge der allgemeinen Geldgier – an einem verkopften Modus, unter idiotischen Anstoßzeiten und dem daraus folgenden Desinteresse der Fans. Doch punktuell kann der Uefa-Cup immer noch seinen alten Zauber entfalten.

„Wir sind jetzt die Hauptstadt des europäischen Fußballs“, sagte Juan de Ramos. „Wenigstens für eine Woche.“ Dann spielen Barcelona und der FC Arsenal im Finale der Champions League.

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