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Mann im Mittelpunkt. Bradley Wiggins rollt bei der Tour bislang vorneweg. Foto: Reuters

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Sport: Eventuell wankelmütig

Tour-Dominator Wiggins zeigt keine Schwächen.

Das Hochgebirge kommt – und etwas Hoffnung kehrt ins Fahrerfeld zurück. Hoffnung, dass Bradley Wiggins, der bisherige Dominator der diesjährigen Tour de France, doch noch ins Wanken gerät. Bei der Tour über den 2000 Meter hohen Col de la Madeleine geriet der Favorit zeitweise unter Druck, konnte die Angriffe der Konkurrenz am Ende aber abwehren und behielt das gelbe Trikot. Nun hoffen die Verfolger, dass der 67 Meter höhere Croix de Fer den Briten heute so durchschüttelt und von seinen Teamkollegen trennt, dass ihn Mut und Kraft verlassen.

Als einzige potentielle Schwäche bei Bradley Wiggins haben die Experten Wankelmütigkeit ausgemacht. „Brad ist mental fragil“, erklärte Irlands einstiger Supersprinter Sean Kelly, derzeit als Tour-Kommentator für Eurosport tätig. Kelly vermutet, dass Wiggins, wenn ihm ein Defekt zustoße, sich ein Sturz ereigne oder er eine plötzliche Schwäche erleide, umgehend Mut und Motivation verliere. Die Konkurrenz nahm die Worte des Iren mit gespitzten Ohren auf. Hauptrivale Cadel Evans vertraut auf das höhere Maß an Hartgesottenheit und Leidensfähigkeit, das ihn als Kind im australischen Busch überleben und später den Hochmut der Straßenprofis, die in ihm lange nur einen technisch minderbemittelten Ex-Mountainbiker sahen, durchstehen ließ.

Der Italiener Vincenzo Nibali, ein in Sizilien geborener und durch inneritalienische Migration in die Toskana früh ausgehärteter Charakter, sieht in Wiggins ohnehin keinen ernsthaften Gegner und konzentriert sich in den kommenden Tagen vor allem auf Evans. Und der Belgier Jurgen Vandenbroeck, der beim Ritt durchs Schweizer Jura seine Zuversicht wiederfand und als potenzieller Alliierter für Evans und Nibali beim Angriff auf den Briten infrage kommt, meinte forsch: „Das war doch bisher gar nichts. Die echten Berge kommen noch.“

Doch sie könnten sich getäuscht haben. Wiggins fährt in diesem Jahr in allen Bereichen bisher in einer ganz eigenen Liga. Im technisch schwierigen und durch viele Rhythmuswechsel geprägten Zeitfahren in Besancon konnte ihm nur Landsmann und Teamkollege Chris Froome einigermaßen folgen. Sogar der absolute Meister in diesem Metier, Fabian Cancellara, wurde regelrecht abgehängt. Im Mittelgebirge hielten Wiggins Helfer alle Widrigkeiten bislang von ihrem Kapitän fern, die gestrige bergige zehnte Etappe war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet. „Brad hat die Zeit nach seinem Schlüsselbeinbruch bei der letzten Tour de France gut genutzt. Er hat sein Training umgestellt und viel Zeit im Kraftraum verbracht. Er hat jetzt die Muskeln, um auch bei den ganz steilen Anstiegen mitzuhalten. Das war seine letzte kleine Schwäche“, sagte Sean Yates, sportlicher Leiter bei dem britischen Rennstall, dem Tagesspiegel.

Dies deckt sich mit den Beobachtungen von Juan José Cobo. Der Spanier war der letzte, der Wiggins eine empfindliche Niederlage beibringen konnte. Er gewann die Spanienrundfahrt 2011 vor Froome und Wiggins. Danach siegte Wiggins bei Paris - Nizza, Tour de Romandie und Dauphiné. Dieses Kunststück hat vor ihm in einer Saison noch niemand vollbracht. Lediglich bei der Algarve-Rundfahrt wurde er „nur“ Dritter. Weil hier aber Teamkollege Richie Porte gewann, war dies keine echte Niederlage.

Cobos jetzige Einschätzung von Wiggins Leistungsstärke ist fatal für die Konkurrenz. „Er hat gegenüber dem Herbst mächtig zugelegt und ist hier auf einem Niveau, wie es im Jahr zuvor nur Contador hatte“, meinte Cobo. Contador ist mittlerweile wegen Dopings gesperrt.

Bei seiner Siegesserie im Frühjahr hat Wiggins genug Selbstvertrauen getankt, um Widrigkeiten bei der Tour gut zu überstehen. Und auch die Extraanstrengungen, die die Pressekonferenzen im Gelben Trikot mit sich bringen, sind ihm vertraut. „Ich habe das ja schon bei den anderen Rennen erlebt“, winkte er ab. Dass er bei einer Frage nach Doping zuletzt jedoch aus der Haut fuhr und Kritiker übelst beschimpfte, zeigt, dass seine Nerven doch nicht so gut sind. Nur muss man dem inzwischen wieder sehr selbstsicheren ehemaligen Bahn-Olympiasieger eben so zuzusetzen wissen, dass ihm tatsächlich die Zweifel kommen. Das ist die Aufgabe des heutigen Tages.

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