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Zu klein für sein Gewicht? Manaf Alsaeed im Tor Sausi-Arabiens.

© Imago

Exoten bei der Handball-WM: Mehr als nur Fußnoten

Chile schlägt Weißrussland, Brasilien gewinnt gegen Polen. In Frankreich zeigen derzeit die Außenseiter, dass sie sich dem Niveau der etablierten Handballnationen annähern.

Wie ein professioneller Sportler sieht Manaf Alsaeed nun wirklich nicht aus. Wer es gut meint mit dem Torhüter der saudiarabischen Handball-Nationalmannschaft, der wird sagen: Dick ist er vielleicht nicht, höchstens ein bisschen zu klein für sein Gewicht. Bei einer Körpergröße von 1,89 Meter bringt der 40-Jährige 137 Kilogramm auf die Waage, so jedenfalls steht es in seinem offiziellen und vom Weltverband IHF gepflegten Spielerprofil. Mit diesem Body-Maß-Index fällt Alsaeed selbst unter all den Kolossen auf, die derzeit bei der Weltmeisterschaft in Frankreich aktiv sind. Ob sein Torhüter-Pullover zu oft gewaschen worden oder von Hause aus zu klein ist, darüber lässt sich vortrefflich spekulieren. Fakt ist: Das gute Stück spannt im Bauchbereich erheblich.

Alsaeed gehört damit zu jenen Exoten, die es alle Jahre wieder bei Handball-Weltmeisterschaften zu bestaunen gibt, in ebenso exotischen Teams. In Europa, wo der Sport seine Wurzeln hat und auf deutlich höherem Niveau betrieben wird als im Rest der Welt, würde es Spieler wie ihn nicht geben, jedenfalls nicht in einem Nationalteam. Beim Kontinentalturnier dagegen sind sie fester Bestandteil, sie bescheren bunte Geschichten, sind mittlerweile aber auch weit mehr als folkloristische Fußnoten. Für seine Gewichtsklasse ist Alsaeed jedenfalls extrem beweglich und reaktionsschnell, wie in den bisherigen Spielen der Vorrundengruppe C eindrucksvoll zu sehen war. Der saudische Keeper zeigte zahlreiche herausragende Paraden.

Bei der WM in Katar kam der Gastgeber 2015 bis ins Finale

Auch das passt zum Bild dieser WM, bei der sich die vermeintlich kleinen Exoten und Außenseiter dem Niveau des europäischen Establishments angenähert haben. Chile feiert den ersten WM-Gruppensieg seiner Geschichte gegen Weißrussland. Die Kroaten haben 50 Minuten gegen Saudi-Arabien zu kämpfen, ehe sie sich absetzen können. Und Brasilien schlägt Polen, das wiederum selbst nach dem dritten Vorrundenspieltag weiter auf seinen ersten Punktgewinn wartet. Vor einigen Jahren wären das völlig undenkbare Szenarien – in Frankreich sind sie allesamt eingetreten. Bemitleidenswerte Teilnehmer wie etwa die Mannschaft Angolas, die nach drei Spielen ein Torverhältnis von 69:115 aufweist, stellen die große Ausnahme dar.

Diese Entwicklung hat sich bereits bei der WM 2015 angedeutet. In Katar gelang es dem Gastgeber als erstem nicht-europäischen Team überhaupt, in ein WM-Halbfinale und später sogar ins Endspiel einzuziehen, in dem sie erst den Franzosen unterlagen. Andererseits kann beim katarischen Konzept, das im Wesentlichen die Verpflichtung ausländischer Handball-Gastarbeiter vorsieht, keine Rede von Nachhaltigkeit sein. Ohne Heim- und Schiedsrichtervorteil ist das Team des spanischen Star-Trainers Valero Rivera mittlerweile in der Realität angekommen und hat gleich mal sein Auftaktspiel gegen Ägypten verloren.

Eine Aufblähung wie beim Fußball? „Selbstmord“, sagt Hanning

Anders als bei einer Europameisterschaft gibt es zwar auch bei der WM 2017 weniger ernst zu nehmende Begegnungen, das gilt besonders für die Turnierfavoriten. „Aber ich sehe darin kein Problem, im Gegenteil“, sagt Bundestrainer Dagur Sigurdsson. „Für mich gehören diese Spiele einfach dazu. Wenn wir nur hart umkämpfte 50:50-Spiele haben, wird es auch irgendwann langweilig“, ergänzt der Isländer. „Alle qualifizierten Nationen verdienen eine faire Chance, sich bei einer Weltmeisterschaft zu zeigen und mit Respekt behandelt zu werden.“

Beim Vizepräsidenten des Deutschen Handball-Bundes, Bob Hanning, klingt das ähnlich. „Gewisse Spiele müssen einfach gespielt werden, damit wir nicht plötzlich ein paar Nationen verlieren, in denen sich unsere Sportart gerade entwickelt oder bereits gut entwickelt hat“, sagt Hanning. Allerdings dürfe sich der Handball nicht der Lächerlichkeit preisgeben, betont er. „Es darf nicht nur um Kommerz und um noch mehr Spiele gehen.“ Aber das sei nach seinem Empfinden ohnehin nicht der Fall, sofern das Turnier in seinem bisherigen Format beibehalten werde (vier Gruppen mit sechs Teams, dann K.-o.-Runde). Falls der Weltverband IHF eines Tages doch auf die Idee kommen sollte, die WM auszuweiten – wie nun im Fußball geschehen –, sieht Hanning jedoch schwarz. „Das wäre klassischer Selbstmord.“ Obwohl es dann noch mehr Unikate wie Manaf Alsaeed gäbe.

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