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Fabian Hambüchen

© dpa

Fabian Hambüchen: Eine Medaille fehlt ihm noch

Nach Bronze und Silber träumt der deutsche Turnstar Fabian Hambüchen vom WM-Titel. Sein Parade-Gerät steht noch aus.

Irgendwo in der Halle stand Maxim Dewiatkowski, kein Mensch beachtete ihn. Aber es konnte ja auch keiner wissen, welche bedeutsame Rolle er für die Silbermedaille von Fabian Hambüchen spielte. Dewiatkowski hatte nach dem Barren, dem fünften Gerät, verletzt aufgegeben, das war seine Rolle. Das Reck stand noch an, das letzte Gerät des Mehrkampf-Einzelfinals bei der Turn-WM in Stuttgart, also humpelte er auf Hambüchen zu und sagte: „Ich höre auf, du bist deshalb jetzt als Zweiter dran.“ Aus dem Satz filterte Hambüchen ein Wort heraus: Zweiter. „Ich konnte nur noch an Zweiter denken“, sagte der 19-Jährige. An Silber also. Und so turnte er. 16,050 Punkte an seinem Spezialgerät, eine exzellente Note. Vize-Weltmeister.

Gut, vielleicht muss man noch erwähnen, dass Dewiatkowski Mehrkampf-Europameister ist, dass der Russe vor dem Reck vor Hambüchen lag und wahrscheinlich dort auch geblieben wäre ohne seine Verletzung, aber an diesem Tag ging es nicht bloß um Logik. Es ging um mentale Stärke, um Kampfgeist. Nur so konnte sich Hambüchen von Platz 22 nach drei Geräten noch auf Platz zwei vorarbeiten. Vor seiner Übung am Reck lag er noch auf Platz sechs, er brauchte den Kick von außen. Er brauchte Dewiatkowski und die knappe Antwort von Wolfgang Hambüchen, seinem Vater und Trainer. „Volle Kanne?“, fragte Fabian Hambüchen. „Volle Kanne, hau rein“, antwortete der Vater. Volles Risiko also. Es wurde belohnt, Fabian Hambüchen aus Wetzlar, schon WM-Dritter mit der Mannschaft in Stuttgart, wurde Vize-Weltmeister. „Damit hatte ich nie gerechnet“, sagte der 19-Jährige. Er ist schon Reck-Europameister, er hat 2006 bereits Bronze bei der WM im Mehrkampf-Einzel gewonnen – aber Silber, das ist noch eine andere Nummer.

Mit seiner sensationellen Leistung hat Hambüchen viele Erwartungen geweckt. Es gibt ja auch noch Gold. Heute findet bei der WM das Reck-Finale statt (15.45 Uhr, live im ZDF) – und Hambüchen ist der gefühlte Favorit. Medaillenkandidat war er schon lange, aber da stand er noch in einer Reihe mit anderen Weltklasseathleten. Aber jetzt – nach den vielen Sensationen der deutschen Turner – hat sich die Stimmung verändert in Stuttgart; etwas anderes als der WM-Titel wird vermutlich als kleine Enttäuschung betrachtet. Hambüchen fördert diese Erwartungen durchaus selbst, wenn er sagt: „Ich habe jetzt Bronze und Silber, was ich noch möchte, kann sich jeder selber ausrechnen.“

Natürlich spricht einiges für einen Titelgewinn von Hambüchen am Reck. Bei jedem seiner Reck-Auftritte in Stuttgart konnte der 19-Jährige bisher glänzen. Er turnt mit einem Schwierigkeitsgrad von 7,0, den übertrifft zurzeit niemand in der Welt. Aber je höher der Schwierigkeitsgrad der Übung ist, desto höher liegt das Risiko, zu stürzen oder einen Fehler zu machen.

Die Frage bei Hambüchen ist ja nicht bloß, ob er nervlich dem Druck standhält, bedeutsam ist auch, ob er noch fit genug ist. Im Mehrkampf-Einzelfinale wäre er daran fast gescheitert. „Dass er einbrechen würde, war mir zu 100 Prozent klar“, sagt Vater Wolfgang Hambüchen. „Beim Einturnen war ich müde und kaputt“, sagt der Sohn. Er hatte nur 16 Stunden Erholung zwischen der Medaillenübergabe auf der Medal Plaza in der Stuttgarter Innenstadt am Donnerstagabend und dem Einturnen am Freitag. „Das ist zu wenig“, sagt Wolfgang Hambüchen. Und so schön die öffentliche Feier mit den Medaillengewinnern auch für die Zuschauer auf der Stuttgarter Königstraße sind, so stressig ist diese Zeremonie andererseits auch. Fabian Hambüchen wollte allerdings zur Medal Plaza – der tollen Atmosphäre wegen.

Die Atmosphäre war am Donnerstag auch in der Halle großartig, nur nützte das dem deutschen Turn-Star erst einmal wenig. Am Boden hatte der 19-Jährige einen Ausfallschritt, am Seitpferd leistete er sich zwei Unsauberkeiten, und an den Ringen konnte er den Kreuzhandstand nicht lange genug halten. „Da fehlte einfach die Kraft“, sagt Wolfgang Hambüchen. Sein Sohn lag zwischenzeitlich auf Platz 22 und war „stinkesauer“. Aber dann tauchte sein Onkel Bruno auf, Diplom-Psychologe und Hambüchens Mentaltrainer, und plötzlich spürte der Europameister am Reck „einen Pusch“, den Kick. Der half erst mal für Pferdsprung und Barren. Dann kam noch ein Pusch, ein noch größerer, von Vater Hambüchen und schließlich von Dewiatkowski.

Selbst Wei Yang, der Chinese, der Titelverteidiger, der klar Führende nach dem Barren, spielte in diesem Finish eine entscheidende Rolle für den Deutschen. Yang sorgte dafür, dass Hambüchen knapp Gold verpasste. Der Chinese stürzte bloß einmal vom Reck. Ein Mal zu wenig für einen Titelverlust.

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