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Höhenflug. Weitspringer Markus Rehm, Goldmedaillengewinner bei den Paralympics 2012 in London, gehört mit seiner Bestleistung von 7,95 Meter schon zur deutschen Spitze der Nichtbehinderten. Bei den Nordrhein-Meisterschaften in diesem Jahr gewann er als erster behinderter Athlet einen Leichtathletiktitel bei den Nichtbehinderten. Ob er mit seiner Prothese einen Vorteil hat, ist unklar. Foto: Imago

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"Fairplay geht vor Inklusion": Istaf-Chef zweifelt an Startmöglichkeit von Prothesenspringer Rehm

Gerhard Janetzky, Inklusionsbeauftragter in der Leichtathletik, über den Fall des Prothesenspringers Markus Rehm und seine Folgen.

Herr Janetzky, als erster Sportler mit Prothese könnte Weitspringer Markus Rehm im Sommer erfolgreich bei den deutschen Meisterschaften starten. Er hat gerade die Norm geschafft. Ist er ein Vorbild für Inklusion?

Zunächst muss man seine Leistung anerkennen. Aber sein Start wirft auch ein Problem auf. In der Leichtathletik erreichen Athleten durch technische Hilfsmittel Leistungen, die in den Spitzenbereich eindringen. Das gibt es so in keiner anderen Sportart. Ein Schwimmer mit einer Armprothese wird nie bei den Nichtbehinderten eine Weltspitzenleistung erreichen können.

Was ist das Problem dabei?

Markus Rehm könnte durch seine Prothese einen Vorteil haben. Und Fairplay geht für mich vor Inklusion. Die Konsequenz müsste sonst lauten, dass der Deutsche Meister der Nichtbehinderten auch bei den Behinderten starten darf.

Warum?

Weil sie ja vom Leistungsvermögen in derselben Klasse starten. Das ist doch die Logik, die daraus folgt. Inklusion ist für mich keine Einbahnstraße.

Ist die Prothese für Sie also nur ein technisches Hilfsmittel und kein Ausgleich für einen körperlichen Nachteil?

Bei der technischen Entwicklung der Prothesen muss ich es so sehen. Jede Prothese wird doch immer wieder verbessert. Ich habe die heimliche Hoffnung, dass die Technik so voranschreitet, dass Markus Rehm bald neun Meter springt. Spätestens dann kommt die ganze Irrsinnigkeit rüber.

Dann glauben Sie also nicht an eine Möglichkeit, dass behinderte und nicht behinderte Athleten in einem Wettkampf starten können?

Doch, sie können gemeinsam starten, aber mit einer getrennten Wertung. Inklusion ist für mich ein gemeinsamer Wettkampf mit einer persönlichen Wertung, keiner absoluten. Beim Istaf könnte man beispielsweise Robert Harting und Paralympicssieger Sebastian Dietz wieder gemeinsam im Diskuswerfen starten lassen und den zum Sieger erklären, der gegenüber dem Durchschnitt seiner Leistungen bei den letzten drei Wettkämpfen besser abgeschnitten hat.

Das klingt kompliziert. Sind solche Formen der einzige Weg, und schließen Sie daher eine gemeinsame Wertung aus?

Nein. Aber bisher ist es jedem Kampfrichter selbst überlassen, ob er einen Athleten mit Prothese bei den Nichtbehinderten starten lässt. Jetzt wollen wir mit dem Deutschen Behindertensportverband Gespräche führen und gemeinsam eine unabhängige Forschungsstelle beantragen. Einen Tüv für Prothesen sozusagen, der feststellt, ob mit dieser Prothese ein unverhältnismäßiger Vorteil erreicht werden kann oder nicht.

Halten Sie das für realistisch?

Wir brauchen ganzheitliche Messungen. Also nicht nur eine Analyse der Prothese, sondern auch eine medizinische Untersuchung. Also zum Beispiel, wie viel Druck der Athlet beim Absprung auf die Prothese geben kann. Ich sehe gute Ansätze, wir haben etwa in der Charité in Berlin sehr viel Kompetenz dazu.

Wo sehen Sie denn in der Leichtathletik noch Chancen für Inklusion?

Inklusion beginnt doch im Kopf und ist nur zu maximal fünf Prozent ein Thema für den Spitzensport. Es geht primär um den Breitensport. Daher müsste Inklusion auch Teil der Lehrerausbildung für die Schulen sein, gerade auch der Sportlehrerausbildung. Es gibt aber schon viele gute Beispiele.

Welche denn?

Die Bundesfinals von „Jugend trainiert für Olympia“ und „Jugend trainiert für Paralympics“ finden zeitgleich statt. Ich würde auch gerne 2015 oder 2016 die Deutschen Leichathletikmeisterschaften in neuer Form im Olympiastadion veranstalten. Die bisherigen Meisterschaften der Nichtbehinderten würde ich dabei mit einem Teil der jetzigen paralympischen Meisterschaften verbinden. Wir haben sowieso die gleichen Kampfrichter.

Gerhard Janetzky, 63, ist Präsidiumsbeauftragter des Deutschen Leichtathletik-Verbandes für Inklusion, Präsident des Berliner Leichtathletik-Verbandes und Meetingdirektor des Istaf.

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Und wieso nur mit einem Teil?

Wir haben im paralympischen Sport allein für den 100-Meter-Lauf unzählige verschiedene Startklassen. Das zeigt natürlich den Wunsch nach maximaler Gerechtigkeit bei so vielen körperlichen Einschränkungen. Aber ich glaube, es hilft dem Behindertensport mehr, ihn auf einige Wettbewerbe zuzuspitzen, anstatt es jedem recht zu machen.

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