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© dpa

Fans und Polizisten: Streitgespräch: „Der Polizei fehlt Selbstkritik“

An fast jedem Spieltag prallen irgendwo in Deutschland Fans und Polizisten aufeinander. Am Montag war es beim Spiel zwischen Hansa Rostock und dem FC St. Pauli wieder soweit. Wir haben beide Seiten zu einem Streitgespräch geladen.

Herr Radek, kennen Sie den „Goldenen Schlagstock“?



RADEK: Ich kenne eine Menge Auszeichnungen für die deutsche Polizei, der Goldene Schlagstock sagt mir aber nichts.

Den Preis verleiht Herr Zichts Organisation Baff jedes Jahr für die „unangemessenste Behandlung von Fans“ durch deutsche Sicherheitskräfte.

RADEK: Das ist bezeichnend für das Spannungsverhältnis zwischen Polizei und Fans. Da ist jemand, der ein schönes Erlebnis haben will, das von anderen gestört wird. Und die Polizei soll das in einer Art Schiedsrichterfunktion richten. Dabei entsteht das Missverständnis, dass die Polizei der Spielverderber ist.

ZICHT: Die Polizei hat sicher eine undankbare Aufgabe. Beim Goldenen Schlagstock picken wir uns die Sachen raus, die extrem misslungen sind. Dabei stellen wir fest, dass bei der Polizei oft jede Selbstkritik fehlt.

Fans tragen T-Shirts mit der Aufschrift „All cops are bastards“, auf der anderen Seite ist von prügelnden Horden die Rede. Sind Fans und Polizisten natürliche Feinde?

ZICHT: Ich glaube, es ist in den letzten Jahren schwieriger geworden. Die entspannte Atmosphäre der WM 2006 konnte nicht in den Alltag hinübergerettet werden. Das hat viele Fans frustriert.

RADEK: Es kommt immer auf den Einzelfall an: Ich bin mal gefragt worden, warum vor dem DFB-Pokalfinale auf dem Weg ins Stadion Schneeketten beschlagnahmt worden seien, das sei doch eine völlig überzogene Reaktion. Schneeketten? Im Mai? Eine Schneekette ist eine wunderbare Waffe. Hätte der Kollege sie nicht beschlagnahmt, hätte es hinterher geheißen: Die Polizei ist noch blöder, als wir annehmen.

Warum haben sich die Fronten zuletzt verhärtet?

ZICHT: Wenn Vorfälle nicht aufgearbeitet werden, weil beide Seiten uneinsichtig sind, dann schaukelt sich das hoch. Die vernünftigen Leute in den Fanszenen haben es dann schwieriger, die wilderen im Zaum zu halten. Aber diese Selbstheilungskräfte gilt es zu stärken.

Jetzt hat der Bundesgerichtshof geurteilt, dass Vereine Stadionverbote auch ohne konkrete Beweise aussprechen können. Ist das richtig?

ZICHT: Nein. Wir überlegen, dagegen vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Wenn beim Fußball etwas passiert, ist es für die Polizei sehr schwer, einen Täter zu ermitteln. Deswegen werden die Namen der Verdächtigen einfach an den Verein weitergegeben, der nicht an die Unschuldsvermutung gebunden ist und ein Stadionverbot ausspricht, während das Strafverfahren meist eingestellt wird. So hebelt man die rechtsstaatlichen Grundsätze aus. Jedes unberechtigte Stadionverbot macht das Sicherheitsrisiko sogar größer, weil sich die gesamte Fanszene angegriffen fühlt.

RADEK: Ich sehe das anders. Wir tun bei dieser Diskussion immer so, als würden Stadionverbote grundsätzlich willkürlich verhängt. Ist das denn so?

ZICHT: Nein, es gibt natürlich auch berechtigte Stadionverbote, aber die Rechtsprechung ermöglicht eben weiterhin auch unfaire Stadionverbote.

RADEK: Wir erleben doch eine verschobene Debatte. Wir diskutieren über das Stadionverbot an sich, aber nicht über die Ursache: Und die ist Gewalt gegen jedermann, gegen Polizeibeamte. Und ich kann nicht erkennen, dass es eine Distanzierung von dieser Gewalt gibt.

Werfen Sie Fußballfans vor, Gewalt zu sehr als Alltag zu betrachten?

RADEK: Ja. Ich würde aber differenzieren: Ich spreche nicht von Fußballfans allgemein, sondern vom Mob. Wieso hält niemand die Täter zurück, wenn wie zuletzt in Uerdingen auf einen am Boden liegenden Polizisten eingetreten wird? In Rostock gab es am Montag 27 verletzte Kollegen. Wir sind bei einer Spirale angekommen, bei der wir uns überlegen müssen, wie es weitergeht.

ZICHT: Der Fußball steht da doch nicht alleine. Es gibt bei jeder Massenveranstaltung und jedem Volksfest Gewalt.

RADEK: Der Besucher des Cannstatter Wasen wirft aber nicht mit selbst gebastelten Sprengkörpern auf Polizisten. Wir sprechen immer über die Grundrechte von Fans – was ist eigentlich mit den Grundrechten von Polizisten? Zum Beispiel dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit?

ZICHT: Ich finde einen verletzten Polizisten genauso bedauerlich wie einen verletzten Zuschauer. Aber wieso steht die Polizei denn beim Fußball stärker im Fadenkreuz? Die Situation kennt doch fast jeder Fan: Ein Polizist benimmt sich daneben, beleidigt oder schubst einen Fan, zückt vielleicht sogar seinen Knüppel. Wenn man dann die Kollegen nach dem Namen dieses Polizisten fragt, um Anzeige zu erstatten, heißen plötzlich alle Müller-Meier-Schulz, tragen die Dienstnummer 08/15 und haben nichts gesehen.

Stimmt das, Herr Radek?

RADEK: Wir haben keine Polizei-Roboter, die kann auch niemand wollen. Ein Mensch hat auch Gefühle, wenn er eine Uniform trägt. Man darf aber nicht vergessen: Die Polizisten sind Wochenende für Wochenende im Einsatz, die bayerischen Kollegen haben im Moment eine Englische Woche: Dienstag Bordeaux, Samstag Schalke. Grölende Fans muss man aushalten, keine Frage. Aber wenn man das zehnte, zwölfte Wochenende hintereinander im Einsatz ist, dann ist auch der größte Akku irgendwann leer.

ZICHT: Manchmal hat man aber auch den Eindruck, der Polizist versteckt sich hinter seiner Uniform, weil er zum Beispiel kein Namensschild trägt. Durch so eine Kennzeichnung würde man sich als Bürger aber nicht mehr so ohnmächtig fühlen, wenn man einem Polizisten in voller Kampfmontur gegenübersteht.

RADEK: Dagegen wehre ich mich vehement. Sobald Gewalt im Spiel ist, hat Kennzeichnungspflicht ihre Grenzen. Jeder Bürger kann eine Anzeige gegen Unbekannt stellen, wenn er der Meinung ist, dass ein Polizist seine Grundrechte verletzt hat.

ZICHT: Und wie viele dieser Verfahren führen zu einer Verurteilung?

RADEK: Auch Polizisten haben doch Persönlichkeitsrechte. Außerdem sagen wir immer, Beamte sollten so spät wie möglich voll ausgerüstet in einen Einsatz gehen. Ich gebe zu: Einzelne brauchen manchmal den Anzug, um Selbstbewusstsein zu haben. Allerdings trägt auch niemand stundenlang einen Helm, um sein Ego zu stärken. Das ist bei Fußball-Einsätzen ja aus der Not geboren.

Bei einem Spiel von Roter Stern Leipzig gab es vor zwei Wochen einen rechtsradikalen Angriff. Hat politisch motivierte Gewalt beim Fußball zugenommen?

ZICHT: In Leipzig gibt es mit Lok und Sachsen zwei starke Fanszenen in einer unterklassigen Liga, das ist immer problematisch. Wenn dann noch politische Extreme dazugekommen, ist das natürlich ein Pulverfass. Generell ist der Einfluss von Rechtsradikalen aber zurückgegangen, weil viele Faninitiativen mit dem DFB und den Vereinen etwas dagegen tun. Gerade die von der Polizei wenig geschätzten Ultra-Szenen haben sich da Verdienste erworben. In manchen Städten behandelt die Polizei Ultras ja wie kriminelle Vereinigungen.

RADEK: Wer behauptet, Deutschland sei auf dem Weg zu italienischen Verhältnissen, hat keine Ahnung. Von so einer Politisierung der Szene sind wir weit entfernt. Zum Thema Ultra-Kultur: Das sind junge Menschen, die sich profilieren und Tabus brechen wollen. Das ist verständlich. Dieser Tabubruch erfolgt leider aber oft über Gewalt.

Im Moment kursieren viele Forderungen, wie man Gewalt künftig verhindern kann. Was sind Ihre Vorschläge?

ZICHT: Das Wichtigste ist, dass vor Ort – davon halte ich mehr als von einer bundesweiten Debatte – alle Gruppen zum Dialog bereit sind. Man muss da mit einer gewissen Gelassenheit rangehen. Und sich im Klaren darüber sein, dass es ein langfristiger Prozess ist, bei dem es auch Rückschläge geben wird.

RADEK: Für uns ist es oft schwierig, mit den Vereinen ins Gespräch zu kommen, weil manche gar nicht mehr Herr der Lage sind. Herr der Lage sind Subkulturen, die in Internetforen Hasstiraden verbreiten. Bei dem Dialog, den ich mir wünsche, müssen alle an einen Tisch: die Fans, die Polizei, der DFB, die Klubs, die Transportunternehmen, der deutsche Städtetag. Ich denke auch nicht, dass wir mit Geld etwas richten können. Eine Stadt, die lieber eine Minigolfanlage finanziert als ein Fanprojekt, sollte sich das gut überlegen.

Das Gespräch moderierte Lars Spannagel.

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