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FC Chelsea: Berserker in Badeschlappen

Der FC Chelsea macht Schiedsrichter Tom Henning Övrebö für das Champions-League-Aus verantwortlich. Dabei hatte Michael Ballacks Team den Sieg selbst in der Hand.

Einen Moment lang hatte das ganze Stadion in ungläubiger Stille verharrt, und auch ein paar Minuten später war es noch nicht zu begreifen. Nachdem sein FC Chelsea durch Barcelonas spätes Ausgleichstor zum 1:1 im Champions-League-Halbfinale ausgeschieden war, rannte Didier Drogba auf den Mann zu, den er als Schuldigen ausgemacht hatte. Wie ein Berserker in Badeschlappen attackierte der zuvor ausgewechselte Drogba Schiedsrichter Tom Henning Övrebö. Stadionwächter drängten den Wüterich ab, doch der verfolgte den Unparteiischen aus Norwegen vor Zorn rasend bis in den Spielertunnel; mit der Faust schlug er knapp an Övrebös Kopf vorbei gegen die Wand.

Chelsea-Trainer Guus Hiddink nahm den Ivorer in Schutz: „Ich kann Didiers Reaktion verstehen, er war voll mit Emotionen.“ Drogba droht eine lange Sperre durch die Uefa. Aber hatte er nicht in der Sache recht? Övrebös Leistung war dem Niveau der Partie zu keinem Zeitpunkt angemessen gewesen. Hiddink sinnierte über das Interesse der Uefa, eine Neuauflage des rein englischen Finales zu verhindern. Für Michael Ballack waren die Fehler des Unparteiischen „schon ein wenig offensichtlich“. Aber nicht nur Chelseas Spieler verloren die Fassung: Aus Angst vor Übergriffen der Londoner Fans wurde Övrebö in ein anderes Hotel verlegt, die britische Polizei schmuggelte ihn am Donnerstag heimlich außer Landes.

Die Inkompetenz des Norwegers ließ Ballack nicht vergessen, dass Chelsea gegen die knapp 30 Minuten in Unterzahl spielenden Katalanen gar nicht erst in die Verlegenheit hätte kommen müssen, auf die Sehschärfe des Schiedsrichter zu vertrauen. Bereits in der ersten Hälfte hätte Chelsea die Partie entscheiden können. Und in der 55. Minute war es Drogba, der frei vor Barças Tor kläglich vergab. „Man muss die Dinger auf diesem Niveau einfach machen“, sagte Ballack. Hatte es also Barcelona nach Andrés Iniesta fulminanten Last-Minute-Schuss zum 1:1 letztlich verdient? Fußballästheten wollten in dem Triumph der Künstler höhere Gerechtigkeit erkennen. Der „Guardian“ befand, Chelseas Verhalten nach dem Schlusspfiff habe das Recht auf den Sieg sozusagen nachträglich verwirkt.

Dabei war Barça trotz wahnwitzigen Ballbesitz-Prozentzahlen und dem unerschütterlichen Glauben an die Spielphilosophie nicht einen Zentimeter hinter die Abwehr der Engländer gekommen. Wenn Michael Essien, nicht im entscheidenden Moment am Ball vorbei schlägt, wenn Ballack etwas näher an Iniesta steht, wenn der alte Hase Hiddink nicht vergisst, dass man in der Schlussphase wechseln sollte, um den Matchrhythmus zu unterbrechen – dann müsste man an dieser Stelle über Barcelonas naiv-inflexible Strategie und körperliche Unterlegenheit diskutieren.

Und nicht über den Schiedsrichter.

Wie Schiedsrichter besser werden: S. 2

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