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Sport: Filippo Inzaghi, Entscheider

Milans Stürmer wirkt mit seiner Statur äußerst schwächlich – trotzdem findet er Wege, zum Abschluss zu kommen

Schauen wir uns die Szene noch einmal an. Wahllos wird der Ball an den Strafraum geschlagen, umklemmt von zwei mächtigen Recken zupft sich die Nummer 9 in den Vordergrund, lässt den Ball einen Tick zu weit von der Brust prallen, sucht umgehend frischen Gegnerkontakt, indem sie sich mit beiden Armen an die Verfolger krallt, ein genialer Verstolperer verwirrt den herbeigeeilten Dritten, und auf einmal sind sie da, jene zehn Zentimeter Schussfreiraum, die ausreichen, den Ball quälend präzise ins Netz zu schieben. Eine Chance war das eigentlich nicht, aber ein entscheidendes Tor. Eines, wie es nur Filippo Inzaghi (Foto: AFP) zu erfinden vermag.

Das Erfolgsgeheimnis des Stürmerstars vom AC Mailand liegt in all dem, was er nicht kann. Und das ist eine ganze Menge. Seine technischen Fertigkeiten sind beschreibbar, seine Laufwege fahrig, sein Antritt ist durchschnittlich, sein Einsatzwille knapp dosiert und seine Passbereitschaft quasi inexistent. Inzaghis größte Schwäche aber – und damit sein eigentliches Kapital – besteht in seiner schwächlichen Statur. Je massiver die körperliche Gegenwehr, desto günstiger für ihn. Wie kein anderer ist der 70-Kilogramm-Mann in der Lage, den Widerstand der Gegner zu eigenen Gunsten zu nutzen. Ob er sich von seinen Bewachern in einsame Kopfballhöhen hieven oder im Gegenteil federleicht zu Boden reißen lässt, Inzaghi versteht es meisterhaft, jeder offenen Eins-gegen-Eins- Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Seine Zweikampfkunst ist passiv aggressiv. Wo Weltklassekollegen den Ball perfekt abschirmen und totale Kontrolle ersehnen, gibt Inzaghi ihn absurd frei, spielt immer mit der Möglichkeit seines Verlustes, weckt so fremde Begierden, windet sich im letzten Moment zwischen Ball und Gegner, um sich darauf im Gewimmel mit sagenhaftem Vorwitz zu behaupten – oder schlichtweg fallen zu lassen. Sein brillantes Situationsgespür und seine äußerst sichere, um Fairnessideale gänzlich unbekümmerte Abschlussgier sichern ihm seit Jahren traumhafte Trefferquoten. Zwar reizt Superpippos Spielweise die Belastungsgrenzen von Trainern, Mitspielern und Fans immer wieder voll aus. Doch solange der Schnitt stimmt, läuft jede Kritik ins Leere.

Nach einer verletzungsreichen Saison ist der 30-Jährige pünktlich zum Saisonfinale zurück in Milans Startformation und meldet damit auch Ansprüche für die Europameisterschaft an. Ein wichtiges Tor im Achtelfinale gegen Sparta Prag (Hinspiel 0:0) wäre das beste Argument – und eigentlich kann man Prags Abwehr nur raten, es nicht zu direkt verhindern zu wollen.

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