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Finale in Sao Paulo: Eine Stadt erwartet das Wunder

Vor dem Formel-1-Finale am Sonntag erreicht der Hype um den brasilianischen Ferrari-Piloten Felipe Massa in São Paulo fast schon Senna-Ausmaße.

Die Last ist groß. Es ist das Gewicht der Erwartungen von 180 Millionen, das er auf seinen Schultern trägt. Felipe Massa kann, soll, muss als erster Brasilianer seit Ayrton Senna vor 17 Jahren Formel-1-Weltmeister werden. Hier beim Heimrennen, auf der Strecke von Interlagos in São Paulo, in dieser Stadt, die ihr 1994 verlorenes Idol mit einer nach ihm benannten Straße und einem eigenen Tunnel mit Denkmal ehrt. Auch Felipe Massa ist Paulista, doch ob die Stadt dereinst einmal irgendetwas nach ihm benennen wird, hängt in großem Maße von den Ereignissen am Sonntag ab: Dann will der Ferrari-Pilot die sieben WM-Punkte Rückstand auf seinen großen Rivalen Lewis Hamilton aufholen. Zwar stehen Massas Chancen rein rechnerisch nicht so toll, aber vielleicht hilft ja das alte Motto „Deus e Brasileiro“, Gott ist Brasilianer.

„Eine Art Gott“ ist nicht nur für Felipe Massa auch Ayrton Senna. Doch selbst wenn der 27-Jährige wohl nie den Status des großen Volkshelden erreichen wird, hat er es immerhin schon geschafft, ein wenig Euphorie in die Stadt zurückzubringen, die nach Sennas Unfalltod in Imola in eine Art Formel-1-Wachkoma verfallen war. Man fühlt sich zurückversetzt an den Anfang der Neunzigerjahre: Tickets werden inzwischen für Schwarzmarktpreise von bis zu 3500 Dollar gehandelt, Taxifahrer und Zeitungsverkäufer geben ungefragt ihre Expertentipps für das Rennen ab und hoffen, „dass es nicht regnet, weil das schlecht für Felipe wäre“. Es scheint, als warte die ganze Stadt sehnlichst auf das kleine Wunder.

Wie sehr die Brasilianer nach dem ersten einheimischen Formel-1-Champion seit Senna lechzen, ließ sich sehr schön bei Massas Besuch des Automobilsalons in Sãno Paulo beobachten. Bei seinem Abgang von einem Auftritt auf dem Ferrari-Stand stürzte eine Horde Fotografen und Kameraleute auf ihn los. Fünf oder sechs Bodyguards mussten Massa und die Ferrari-Verantwortlichen beschützen und sie quer durch die Halle zum Ausgang geleiten, wo ein schwarzer Maserati wartete. Die Flucht durch die Menschenmenge geriet zum Scharmützel: Werbetafeln flogen, Stellwände hatten angesichts der wilden Truppe, die da durch die Gänge jagte, keine Chance, stehen zu bleiben. Mitten im Auge des Hurrikans blieb der kleine Massa, der in solchen Momenten immer noch wie ein verschmitzter Schuljunge wirkt, ganz locker. Er drehte sich nur kurz mal um, um zu sehen, wo denn nun der neue Krach wieder herkäme und grinste amüsiert: Diesmal hatten rückwärts laufende Fotografen zwei große Metallpapierkörbe umgeworfen.

Es ist fast schon bemerkenswert, mit welcher Gelassenheit Felipe Massa mit dem Hype umgeht. „Ich habe nichts zu verlieren, ich kann nur gewinnen“, sagt er, und es scheint nicht nur aufgesetzte Pose, sondern seine tatsächliche Einstellung zu sein. Nur dann, wenn man ihm immer wieder quasi öffentlich die Verpflichtung auferlegt, die große Formel-1-Tradition Brasiliens fortzusetzen, dann ist ihm schon mal anzumerken, dass er auf diese ständigen Vergleiche mit Emerson Fittipaldi, Nelson Piquet und natürlich vor allem Ayrton Senna auch irgendwann einmal verzichten könnte. Es klingt eher pflichtbewusst als überzeugend, wenn Massa sagt: „Ich hoffe, dass ich diese Geschichte weiterschreiben kann.“

Vielleicht auch, um ihn an dieses Versprechen zu erinnern, wird den brasilianischen Fernsehzuschauern die große Historie fast pausenlos vor Augen geführt. Immer wieder flimmern die Bilder von Sennas Siegen beim Heimrennen und die seiner drei WM-Titel über die Bildschirme. Und allerorten wird darauf hingewiesen, dass sich der erste Titelgewinn Sennas am 30. Oktober zum 20. Mal jährte. TV Globo, der mit Abstand größte und bedeutendste Fernsehsender des Landes, liebt es sogar ganz melodramatisch: Die Anmoderationen für die Vorberichterstattung zum Grand Prix wird auf dem Friedhof von Morumbi aufgezeichnet. An Ayrton Sennas Grab.

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