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Sport: Fluchen statt arbeiten

Istanbul. Millionen starrten gebannt auf die Fernsehbildschirme: zu Hause, am Arbeitsplatz, im Laden an der Ecke.

Istanbul. Millionen starrten gebannt auf die Fernsehbildschirme: zu Hause, am Arbeitsplatz, im Laden an der Ecke. Sogar der schwerkranke Ministerpräsident Bülent Ecevit schaute fern. Das erste WM-Spiel der Türkei seit fast 50 Jahren wollte so gut wie niemand verpassen. Als die Türken Ende der ersten Hälfte in Führung gingen, lagen sich die Menschen in den Armen - doch als das Spiel kurz vor dem Abpfiff durch den umstrittenen Foul-Elfmeter noch verloren ging, wurde der bis dahin in der Türkei völlig unbekannte Unparteiische Kim Young Jo innerhalb von Sekunden zum Buhmann Nummer eins. „Brasilien plus Schiedsrichter 2 - Türkei 1“, überschrieb ein Nachrichtendienst seinen Spielbericht. Doch auch die eigene Mannschaft wurde nicht von Kritik verschont.

Nicht zuletzt die Unbeherrschtheit der türkischen Spieler ging einigen Türken zu weit. „Mediterranes Temperament hin oder her - die sind doch jetzt in Korea“, schimpfte ein Fußballfan in Ankara. Andere kritisierten Nationaltrainer Senol Günes, weil dieser den Mittelfeldspieler Yildiray Bastürk von Bayer Leverkusen ausgewechselt hatte. Selbst Starstürmer Hakan Sükür, der von seinen Landsleuten wie ein Nationalheld verehrt wird, bekam Schelte. Sükür sei die gesamte Spielzeit wie ein Phantom auf dem Feld umhergeirrt, beschwerte sich ein Fan in einer Internet-Chatrunde.

Doch die meisten wütenden Kommentare richteten sich gegen den Schiedsrichter. „Der Elfmeter war falsch“, stellte Vize-Premier Mesut Yilmaz offiziell für die Regierung fest. „Wie kann denn einer bei der WM pfeifen, der so kurzsichtig ist?“ fragte der Sportkommentator Cüneyt Ersan. „Mir fehlen die Worte. Der Mann hat uns fertig gemacht.“ Von einer „Elfmeter-Komödie“ war in den türkischen Medien die Rede. „Das Foul war außerhalb des Strafraums“, sagte der türkische Torschütze Hasan Sas. „Aber wir haben noch eine Chance. Wir wissen, dass Millionen hinter uns stehen." Thomas Seibert

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